Der biosphärische und atmosphärische Stoffwechsel

12. Dezember 2022

„Omne vivum ex vivo“ („Alles Lebendige entsteht aus Lebendigem.“) (Louis Pasteur (1822 – 1895))

Der Klimawandel wird nach wie vor von vielen Menschen nicht ausreichend ernstgenommen, weil, bewusst oder unbewusst, Klima und Wetter verwechselt werden. In mehreren Blogs auf dieser Homepage habe ich versucht, den Zusammenhang zwischen Klima und Wetter darzustellen. Letztmalig in dem Artikel Worst-Case-Szenario vom 19. September 2022. Darin habe ich u.a. ausgeführt, dass über die CO2-Konzentration und dem damit zusammenhängenden Austausch zwischen Atmosphäre, Biosphäre und den Ozeanen wenig berichtet wird. Der mediale Schwerpunkt liegt eher beim Wetter oder bei den Waldbränden und die damit zusammenhängenden Dürren. Rückkopplungen, die beispielsweise durch den Rückgang des gebundenen Kohlenstoffverlustes durch Dürren und Brände im Amazonasgebiet und anderswo entstehen, werden in gängigen Klimamodellen nicht berücksichtigt.

Noch einmal kurz zu den Zahlen: Die CO2 -Konzentration im Jahre 1860 betrug circa 293 ppm (parts per million; in einer Million Liter Luftgemisch befinden sich 293 Liter CO2) Heute beträgt sie knapp 420 ppm und die ökologischen Folgen werden immer stärker sichtbar. Ähnlich wie bei den Temperaturen[1] wird diese Steigerung häufig als gering erachtet.

Der biosphärische Stoffwechsel

Der Stoff, aus den wir Menschen sind, ist permanent im Fluss. 98 Prozent aller Atome in unserem Körper werden im Laufe eines Jahres ausgetauscht. Wir wechseln die Stoffe, indem wir atmen, essen, trinken und wieder ausscheiden. „Wenn wir diese Vorgänge quanten-physikalisch betrachten, zeigen sich die scheinbar soliden und statischen Atome darüber hinaus als eine ununterbrochene Fluktuation von energetischen Beziehungen, den alles mit allem verbinden. Wir sind keine abgeschlossenen Objekte und auch keine souveränen Herrscher über eine außer uns stehende Natur, sondern Austauschwesen, Durchgangsorte, Transformatoren.“[2] Nur Leben kann  günstige Lebensbedingungen schaffen.

Der atmosphärische Stoffwechsel

Der biologische Stoffwechsel ist mit dem atmosphärischen vergleichbar, der auf sehr fein austarierte Gleichgewichte beruht. Leben konnte auf der Erde nur entstehen, weil die Atmosphäre keinen Sauerstoff enthielt und die CO2-Konzentration unermesslich hoch war. Wären die ersten Bakterien mit Sauerstoff in Berührung gekommen, wären sie vermutlich oxidiert. Im Laufe der Erdgeschichte nahm die CO2-Konzentration kontinuierlich ab und die Sauerstoffkonzentration nahm zu. Menschen konnten sich nur ausbilden, weil die Luft der Atmosphäre vor vielen tausend Jahren aus einer bestimmten Gasmischung bestand.

Ein kleiner Exkurs

An dieser Stelle möchte ich eine kurze Anekdote aus meiner aktiven Lehrertätigkeit erzählen: Seit vielen Jahren habe ich das Thema Ökologie in den volkswirtschaftlichen Unterricht „eingebaut“. Insofern wussten die Schülerinnen und Schüler, dass eine CO2-Konzentration von durchschnittlich 420 ppm für die Menschheit langfristig problematisch werden könnte. In der Corona-Krise wurden viele CO2-Messgeräte in den Klassenzimmern aufgestellt, um dann, nach einem bestimmten Wert, zu lüften. Eines Tages wies das Messgerät eine Konzentration von 900 ppm aus. Meine Schülerinnen und Schüler witzelten über diesen Wert und ein erwachsener Schüler schrie bedrückt, nein eher vergnügt: „Müssen wir nun alle sterben?“ Daraufhin ergab sich dann eine ausgelassene, und zugegeben, witzige Diskussion über den Klimawandel. Auf einmal standen der Veggie-Day, der Fleischkonsum und „pupsende“ Kühe auf der Tagesordnung. Nach kurzer Zeit wurde ich aber dann doch wieder ernst und musste die Situation bereinigen.

Zunächst ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre i.H.v. 420 ppm ein durchschnittlicher Wert, genauso wie das 1,5 Grad Ziel durchschnittlich zu betrachten ist. Es gibt Länder, die liegen bereits heute schon drüber, andere Länder liegen darunter. Hinsichtlich des Klimas und auch des Wetters werden also Mittelwerte über einen sehr langen Zeitraum erhoben. Der menschliche Organismus kann extreme Wetterveränderungen aushalten. Wir kommen mit 40 Grad Außentemperatur genauso klar wie mit 15 Grad minus. Nach den Lehrsätzen der Hydrotherapie kann ein gesunder, menschlicher Körper sogar kurzfristig minus 180 Grad Celsius oder plus 120 Grad Celsius aushalten. Unsere innere Temperatur lässt solche Schwankungen nicht zu, denn ein Mensch stirbt bei einer langfristigen Körpertemperatur von 33 Grad bzw. 42 Grad Celsius. Wenn wir die Natur als Organismus begreifen, dann ist eine Temperaturdifferenz von 2 Grad Celsius eine große Zahl. Wenn ein menschlicher Organismus dauerhaft statt 37 Grad 39 Grad Celsius ertragen müsste, würde dieser Organismus nach einer gewissen Zeit kollabieren und vermutlich sterben. Unseren Organismus kennen wir gut, vom Organismus der Erde und der Funktionsweise der Natur haben wir uns aber weit entfernt. Die Natur wird instabil und krank, wenn sich die CO2-Konzentration erhöht und die Erdatmosphäre erwärmt wird.

Nun wieder zurück in den Klassenraum. Heutzutage werden in geschlossenen Räumen, beispielsweise Klassenzimmern, oder auch in Innenstädte Werte von über 1.000 ppm gemessen. Davon sterben wir nicht sofort, aber bei dieser hohen Konzentration werden schon nach Stunden leichte Störungen der körperlichen und geistigen Funktionen  eintreten. Eine weitere Steigerung um 400 ppm auf 1.400 ppm führt dazu, dass die kognitiven Fähigkeiten um die Hälfte sinken. „Ab 2000 ppm kommt es mittelfristig zu Demineralisierungen der Knochen, Nierenverkalkungen und Schädigungen von Blutgefäßen.“[3] Also führen zwei Promille CO2 in der Luft dazu, dass Körpergewebe zerfällt. Nicht auszudenken, wie sich diese Konzentration auf sämtliche Lebewesen und auf das gesamte Ökosystem auswirken wird. Dagegen scheinen Waldbrände, Dürren und ähnliche Katastrophen harmlos zu sein.

Nachtrag

Noch einen kurzen Nachtrag zu den „pupsenden“ Rinder. Die Schülerinnen und Schüler haben sich aus vorhergehenden VWL-Stunden gemerkt, dass Rinder große Mengen Methan ausscheiden und das die Methanmoleküle ungefähr zwölf Jahre in der Atmosphäre bleiben. Auch war noch bekannt, dass Methan 25-mal klimaschädlicher ist als CO2. Da Lehrer bekanntlich immer das letzte Wort haben müssen, fügte ich in dieser Unterrichtsstunde noch hinzu, dass bei der Viehzucht auch noch Lachgas entsteht. Und dieses hält sich ungefähr 100 Jahre in der Atmosphäre und ist 300-mal klimaschädlicher als CO2. Lachgas ist für etwa sieben Prozent der globalen Erwärmung verantwortlich und es macht nur 0,0000334 Prozent der Luftpartikel aus. Eine übermäßige Düngung der Äcker und Weiden mit Stickstoff führt ebenfalls zum Entweichen von Lachgas.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass bereits geringe Störungen des hochkomplexen Netzwerks und der subtil austarierten Systeme der Natur schon dramatische Auswirkungen haben können. Dies gilt vor allem für die Atmosphäre, denn das Klima der Erde ist so fein austariert, dass die globale Erwärmung zu einem schnellen Umschlag ganzer Wettersysteme führen kann. Es wäre durchaus möglich, dass das kalte Frischwasser des abschmelzenden arktischen Packeisfeldern den Golfstrom zum Erliegen bringen könnte. Dann hätten wir eine neue Eiszeit in Europa und Nordamerika.

[1] Bei den Temperaturen hört man häufig, dass eine Steigerung um 1,5 Grad Celsius nicht viel sei, weil viele Menschen nur die Wettertemperaturen vergleichen.

[2] Fabian Scheidler, Der Soff aus dem wir sind, München, 2021, S.133

[3] Fabian Scheidler, Der Stoff aus dem wir sind, München, 2021, S.132

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