„Demokratie ist die anstrengendste und verletzlichste Gesellschaftsordnung, die wir kennen“
(Oskar Negt)
Im Jahre 2015 haben 195 Staaten das Pariser Klimaabkommen unterschrieben. Die Erdölproduktion sollte sich bis zum Jahr 2030 um die Hälfte reduzieren. Was ist bis jetzt geschehen? Nichts, im Gegenteil, die Erdölproduktion steigt weiter. Außerdem ist, nach dem am 11.06.2019 veröffentlichten BP Statistical Review of World Energy, der Erdgaskonsum um 5 Prozent und die Kohleförderung um 4,3 Prozent gestiegen. Donald Trump hat es als ökonomischen Wahnsinn bezeichnet, die Ölvorräte, die einige Billionen Dollar wert sind, in der Erde zu lassen. Die reichen Finanzoligarchen sind gierig und wollen die Ölquellen total ausbeuten und damit unausweichlich die Klimakatastrophe herbeiführen und die Erde in ein lebensfeindliches Treibhaus verwandeln. Die Weltwirtschaft ist zu 95 Prozent vom Öl abhängig. Wenn wir das Klima stabil halten wollen, müsste der größte Teil der noch vorhandenen Ölvorräte dableiben, wo sie sind – in der Erde. Die Diskussion um den Klimawandel darf sich nicht darauf beschränken, dass es langfristig wärmer wird und wir kleine Änderungen in unserem Verhalten vornehmen. Es geht vor allem darum, dass Wirtschaftssystem umzubauen, die gnadenlose Naturausbeute erheblich zu reduzieren und eine beispiellose Dekarbonisierung herbeizuführen. Das bedeutet zwangsläufig eine erhebliche Reduzierung des privaten Reichtums, denn der kommt letztendlich auch nur aus der Natur. Die entscheidende Treibkraft für die Kapitalakkumulation ist das Verbrennen fossiler Stoffe (die ausnahmslos aus der Natur stammen) und das führt zwangsläufig in die Klimakatastrophe.
Ist die betriebswirtschaftliche Mentalität die vorherrschende Geisteshaltung?
Die 85 reichsten Milliardäre besitzen genau so viele Reichtümer wie die ärmsten 4,5 Milliarden Menschen der Welt. Diese Konzentration von Macht und Geld hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit noch nie gegeben. Kein Kaiser und auch kein Papst hatte jemals so viel Geld und Macht wie diese Finanzoligarchen, die sehr häufig aus der Ölbranche kommen und sich nur dann für die Menschheit, das Klima und die Natur interessieren, wenn sie Menschen und Natur ausbeuten, beeinflussen und verführen können.
Eine der größten Errungenschaften der zivilisierten Welt ist das staatliche Gewaltmonopol in einer Demokratie. Nun könnte man annehmen, dass der Staat seine Macht nutzt um die Konzentration von Macht und Geld zu brechen. Oder sind die Staatsvertreter schon Lobbyisten der Finanzoligarchie? Dies könnte man für die Länder Russland, USA und China möglicherweise bejahen. Man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass die politisch interessierte Kaste der Unternehmer und Manager ihr eigenes politisches System aufbauen. Wie sieht es denn in Deutschland aus? Haben wir eigentlich noch die Soziale Marktwirtschaft, die Unternehmens- und Machtkonzentrationen mit aller Kraft bekämpft und eine Parität zwischen Kapital und Arbeit herstellt?
Die Existenz eines Sozialstaates ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine Soziale Marktwirtschaft. Fraglich ist, ob in Deutschland eine Soziale Marktwirtschaft faktisch existiert oder ob der Begriff zu einer Phrase verkommen ist, die nur noch von Politikern genutzt wird, um angebliche Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und um die, nicht mehr vorhandene, Parität zwischen Kapital und Arbeit darzustellen; denn das Kapital dominiert alle anderen Produktionsfaktoren. Diese Dominanz muss gebrochen werden zugunsten der Natur und der Arbeit. Dies lässt sich aber nicht proklamieren, sondern muss permanent erkämpft werden. Dies gilt natürlich auch für die Demokratie, die täglich und dauernd gelernt und gelehrt werden muss, sie lässt nicht nur auf ein politisches System reduzieren, sondern sie ist eine allumfassende Lebensform.
Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft, wie beispielsweise Walter Eucken, haben effektive Ansätze zur Domestizierung und Zivilisierung des Kapitalismus herausgearbeitet und verbanden diese Wirtschaftsordnung untrennbar mit der Demokratie und der Freiheit. Insofern ist die Demokratie die einzige Form, die im Kapitalismus Interessenausgleiche zwischen den gesellschaftlichen Klassen herstellen kann. Diese Automatismen sind mit der Einführung der neoliberalen Ökonomie stark bedroht worden. Die neoliberalen Ökonomen haben zur Freiheit ein merkwürdiges und widersprüchliches Verhältnis. Der Widerspruch besteht darin, dass neoliberale Ökonomen die Freiheit zwar in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen, gleichzeitig aber eine totale Unterwerfung fordern hinsichtlich der Gesetze des Marktes und seiner Zwänge. Doch heute müssen wir leider (weltweit) feststellen, dass der Kapitalismus auch sehr gut ohne Demokratie und Freiheit funktioniert. »Der Kapitalismus ist kein politisches System, sondern eine Wirtschaftsform, die in rechten Diktaturen (Chile unter Pinochet) und linken Diktaturen (Volksrepublik China) genauso funktioniert wie in sozialdemokratischen Monarchien (Schweden) und plutokratischen Republiken (USA). Ob kapitalistische Wirtschaftsnationen am besten in völliger Freiheit gedeihen, ist eine offene Frage, vielleicht mehr, als wir glauben.«[1]
„Der Neoliberalismus war noch nie ein System für transnationale Solidarität. Er folgt vielmehr einfach seiner Logik. Die Hongkong – Krise zeigt, dass der Neoliberalismus nicht deshalb untergeht, weil die Linke ihn zurückdrängt, sondern weil er von der effizienteren Praxis einer autoritären kapitalistischen Gewalt ersetzt wird. “ [2] Unter Berücksichtigung von Effizienzkriterien funktioniert dieses Wirtschaftssystem in autoritären Diktaturen möglicherweise besser. Wenn in Deutschland eine Innovation, ein Bauvorhaben oder ein industrielles Projekt geplant wird, beobachten wir langwierige und umständliche Prozeduren der Meinungs- und Urteilsbildung. Anhörungen, Feststellungen und Abstimmungen finden statt. Eventuell kommt noch eine Verfassungsklage hinzu. Bürgerinitiativen behindern das Projekt und schließlich sorgt die verhasste Bürokratie für zeitraubende Verfahren. Da hat es ein elitäres Zentralkomitee, beispielsweise in China, viel leichter. Es kann einfach so ein Atomkraftwerk oder auch einen umweltverträglichen Windpark beschließen. Die wirtschaftliche Entwicklung wird durch den Verzicht auf Demokratie nicht gehemmt. Am Beispiel China lässt sich erkennen, dass eine Diktatur die wirtschaftliche Modernisierung und ein hemmungsloses Wachstum beschleunigen kann.
Da das 20. Jahrhundert als »Beschleunigungszeitalter« identifiziert wird, drücken demokratische Beteiligungsprozesse auf die Bremse. Durch den Zwang zur Beschleunigung bleibt wenig Zeit, um sich zu informieren, Sachverhalte abzuwägen und zu diskutieren. Der schnell wachsende Turbo-Kapitalismus benötigt nicht unbedingt die Demokratie und den Markt, sondern den technischen Fortschritt, gepaart mit einem Leistungswettbewerb. Zumal auch einige Theoretiker des Neoliberalismus der Demokratie nicht vertrauen. Regierungen, die durch Mehrheitsentscheidungen zustande kommen, werden als Bedrohung angesehen, weil möglicherweise wirtschaftsfeindliche Beschlüsse gefasst werden können. Tendenziell neigen Neoliberale dazu, Experten und Eliten stärker zu vertrauen als den demokratischen Willensbildungsprozessen. Gleichzeitig muss aber festgestellt werden, dass in der heutigen Zeit häufig autoritäre Politiker durch demokratische Wahlen an die Macht kommen, begünstigt durch das Internet lassen sich Wahlen zunehmend beeinflussen. Somit können herrschaftskonforme Öffentlichkeiten durch Kontrollen, Ausspähungen, Überwachungen und Propaganda hergestellt werden. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholen kann, ist ein Rückfall in die Inhumanität nicht ausgeschlossen, weil das Internet nie dagewesene Manipulationsmöglichkeiten bietet.
Demokratie muss erkämpft werden
 Dem muss etwas entgegengesetzt werden: Einerseits müssen bestimmte  Plattformen demokratisch kontrolliert werden und eine gesellschaftliche Regulierung ist zwingend erforderlich. Andererseits muss die kritische Zivilgesellschaft, dazu gehört auch das Bildungswesen, sich die demokratischen Prozesse kontinuierlich und stetig erkämpfen, sie fallen nicht vom Himmel. Es gab beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos im Februar 1996 einen bemerkenswerten Vorfall. In Davos treffen sich alljährlich die mächtigsten Oligarchen der Welt, Staatsoberhäupter und Minister aus aller Welt. Der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, sprach am Ende seiner Rede folgendes aus: »Von nun an stehen Sie unter der Kontrolle der Finanzmärkte.« Man möchte meinen, dass die mächtigen Staatschefs und Minister ein langanhaltendes Pfeifkonzert intonierten und Buh riefen. Leider nein, es gab einen sehr langen Applaus. Die mächtigen Staaten haben sich damit der Akkumulations- und Ausbeutungsstrategie der Finanzmärkte und der Finanzoligarchen unterworfen.  Die Staaten müssen dem Diktat der Finanzmärkte folgen, sonst werden sie durch diese Märkte durch Ausbleiben von internationalen Investitionen und massiver Kapitalflucht bestraft. Anders herum wird ein Schuh draus. Das Finanzsystem und die Finanzoligarchen haben sich sowohl der Realwirtschaft, der Demokratie und auch der Gesellschaft unterzuordnen.
[1] Tony Judt, Dem Land geht es schlecht, München, 2011, S. 117.
[2]Â Wilfried Chan, Hongkong blues, in: der Freitag, Ausgabe 34 vom 22. August 2019, S.1.