Am 22.Oktober 2019 fanden in vielen Orten Deutschlands Bauernproteste statt. Die Landwirte protestierten vor allem gegen strengere Regeln für mehr Umwelt- und Insektenschutz, weil sie dadurch ihre Existenz bedroht sehen. Die Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) und die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) haben ein „Agrarpaket“ auf den Weg gebracht, dass den Glyphosat-Ausstieg, mehr Schutz für Insekten und ein neues Tierwohl-Kennzeichen beinhaltet. Außerdem sollen neue Auflagen das Grundwasser vor zu viel Nitrat durch Überdüngung schützen.
Die landwirtschaftliche Industrie
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Landwirtschaft zunehmend industrialisiert. Durch die kapitalistische Produktionsweise konzentrierte sich der Markt und es steht zu befürchten, dass zukünftig immer mehr Monopole entstehen. Der Paragraph 13 Abs.1 Einkommensteuergesetz erklärt die landwirtschaftliche Produktionsweise: „Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sind Einkünfte aus dem Betrieb von Landwirtschaft und Forstwirtschaft, Weinbau, Gartenbau und aus allen Betrieben, die Pflanzen und Pflanzenteile mit Hilfe der Naturkräfte gewinnen.“ Werden die Naturkräfte noch genutzt oder haben sich die Bauern von der Landwirtschaft entfernt, um industrielle Strukturen aufzubauen?
Der Boden
Die meisten Landwirten bewirtschaften den Boden als leblose Materie, der nur dazu gebraucht wird, um die Pflanzen festzuhalten. Wir führen einen Vernichtungsfeldzug gegen den fruchtbaren Boden, obwohl er uns unsere Nahrungsmittel liefert und inzwischen absolut knapp wird. Die Knappheitsrelationen sind beim Anbauboden anders zu bewerten als bei nicht regenerierbaren Rohstoffen des Abbaubodens. Landwirtschaftliche Produkte wachsen bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung nach. Das bedeutet, dass ein gesunder Boden seine Kräfte selbstständig regeneriert. Ein wesentliches Kennzeichen des Bodens ist seine Nichtvermehrbarkeit. Deshalb ist es klug, den evolutorischen Erfahrungsschatz der Natur zum Vorbild zu nehmen. Im Gegensatz zum Menschen kennt die Natur keine Abfälle. Die Produkte, die abgebaut werden, dienen zeitversetzt dem Aufbau. Nachdem die Blätter eines Baumes im Sommer ihre Funktion erfüllt haben, fallen sie ab. Im Herbst dienen sie dann als Nährstoff für den Boden, sodass wieder neue Blätter und Blüten gebildet werden können. Seit Jahrmillionen funktioniert diese nachhaltige Kreislaufwirtschaft.
Das Bodenertragsgesetz
Schon früh hatte man die Erkenntnis, dass man mit dem vorhandenen Boden haushalten muss. Die Produktionsergebnisse der Landwirtschaft sind nicht beliebig steigerbar. Der Ertrag einer gegebenen Bodenmenge lässt sich nicht durch vermehrten Arbeitseinsatz und durch gesteigerte Kapitalzufuhr (Maschinen, Dünger) unbegrenzt erhöhen. Ganz im Gegenteil, Robert Jacques Turgot (1721–1781) stellte schon sehr früh empirisch fest, dass sich bei einer gegebenen Bodenfläche durch vermehrten Arbeits- und Kapitaleinsatz der Gesamtertrag bis zu einem bestimmten Punkt zwar steigern lässt, danach muss man beim »ausgelaugten« Boden aber mit sinkenden Ertragszuwächsen rechnen. Im schlimmsten Fall kippt der Boden um und eine Ernte ist über einen längeren Zeitraum nicht möglich. Dieses Gesetz ging als »Bodenertragsgesetz« bzw. als »Gesetz des sinkenden Grenzertrages« in die Wirtschaftsgeschichte ein. Da der Anbauboden inzwischen auch der kapitalistischen Logik unterliegt, gibt es an dieser Stelle weitere Probleme, die sich aus der industriellen Nutzung des Bodens ergeben.
Wir benötigen zwingend die Humuswende
 In Deutschland verlieren wir täglich sechzig Hektar Land, das entspricht circa 84 Fußballfelder[1], durch Versiegelungen aller Art. Die Bundesregierung wollte diesen Flächenfraß auf dreißig Hektar (= 42 Fußballfelder) bis 2020 begrenzen. Neben dem Klimaziel 2020 wurde auch dieses Ziel nicht eingehalten. Um die Klimakatastrophe wirksam zu bekämpfen ist es zwingend notwendig den Flächenfraß zu beenden und auf weitere Betonierung und Asphaltierung des Bodens zu verzichten, um vermehrt Humus zu generieren. Dies wäre eine sinnvolle Maßnahme für das Klima.
 Ungestört wachsende Böden, wie beispielsweise Waldflächen, können Humus bilden, weil Pilze, Bodentiere, Pflanzen, Pilze und weitere Mikroorganismen eingelagert werden. In solch einen intakten Humusboden kann sehr viel CO2 gespeichert werden. Dies gilt auch für den Ackerboden, wenn man ihn nicht mehrmals im Jahr pflügen würde. Außerdem ist dafür zu sorgen, dass ständig eine Pflanzendecke vorhanden ist. „Würden wir nur auf allen landwirtschaftlich genutzten Böden diese Erde in jedem Jahr auch nur vier Promille mehr Humus wachsen lassen, dann wäre der gesamte jährliche Kohlenstoff-Ausstoß der Menschheit im Boden gespeichert. Auf der Klimakonferenz in Paris, bei der sich die Staaten endlich auf ein Klimaabkommen einigen konnten, hat Gastgeber Frankreich genau das vorgeschlagen: eine weltweite 4-Promille-Initiative.“[2]
Jedes Moor, das in Deutschland entwässert wird, ist ein Verbrechen gegen das Klima. Durch die Trockenlegung wird sehr viel Kohlenstoff frei und gelangt dann in die Atmosphäre. Moore haben die Eigenschaft, dass sie wachsen und somit vermehrt Kohlenstoff einlagern können. Außerdem wird durch den Abbau von Mooren die Natur bedroht, weil Biotope für bedrohte Tier- und Pflanzenarten verloren gehen. Die Wissenschaftler des Thünen-Instituts geht davon aus, dass in Deutschland jährlich 1,5 Promille Humusboden verloren gehen. Die Verdichtung des Bodens nimmt in Deutschland mit sechzig Hektar Flächenfraß täglich zu. Auf der Klimakonferenz in Paris verpflichtete sich Frankreich auf das 4-Promile-Ziel. Deutschland hat die zugehörige internationale Deklaration als Erstunterzeichner mitgetragen. Wenn die Bundesregierung den Klimawandel ernst nehmen würde, darf der Humusboden nicht abnehmen, sondern er müsste um 4-Promile jedes Jahr wachsen. Durch die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft findet aber ein ständiger Humusverlust statt.
Lösungsmöglichkeiten
Die Biostiftung Schweiz, eine nicht profitorientierte Stiftung zur Förderung umweltgerechter Produkte und eines alternativen Konsumverhaltens, gibt beispielsweise Bodenfruchtbarkeitsfonds heraus, um die Humusbildung zu verbessern. Die Bauern können mit der finanziellen Unterstützung der Stiftung zu „Humussammlern“ werden. Es werden aber nicht nur Biobauern angesprochen, auch konventionell wirtschaftende Landwirte sind willkommen. Die „Humusproduktion“ muss belohnt werden, denn sie ist ein wichtiger Schritt, um die Klimakatastrophe abzumildern. Leider verfolgt die gemeinsame Agrarpolitik der EU andere Ziele, weil die Subventionen in die Fläche fließen. Die Bodenqualität der landwirtschaftlichen Flächen wird nicht berücksichtigt. Große, industriell ausgerichtete, landwirtschaftliche Betriebe erhalten 40 Mrd. Euro jährlich, das entspricht ungefähr 70 Prozent der Agrarmittel. Diese „Gießkannenzahlungen“ müssen unterbunden werden und es muss eine finanzielle Umverteilung zwischen den kleineren Betrieben und den industriell ausgerichteten Landwirtschaftsbetrieben erfolgen. Auch wenn der „Agrarpakt“ der Bundesregierung sehr dürftig ausgefallen ist, ein Anfang ist gemacht und die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe müssen nun finanziell unterstützt werden, während die Subventionen der großen bewirtschafteten Flächen zu reduzieren sind.
 Müssen wir nicht den weltweiten Hunger bekämpfen?
Häufig hört man in Diskussionen, dass wir den Boden intensiv ausbeuten müssen, um den weltweiten Hunger zu begegnen, schließlich wachse doch die Bevölkerung. Genau an dieser Stelle setzt das von Frankreich initiierte 4-Promille-Ziel an. Die Länder des Südens sollen eingebunden werden in Klimaschutzaktivitäten im Bereich der Landwirtschaft und der Landnutzung[3], denn die meisten ärmeren Länder des Südens sind sehr wohl in der Lage sich selbst zu ernähren. Durch den Expansionszwang des Kapitalismus werden aber in solchen Ländern die kleinbäuerlichen Strukturen vernichtet und die westliche Welt beutet die Rohstoffe dieser Länder aus. Das Brot für die Welt wird über die Börsen von Kapitalanlegern gehandelt, die profitorientiert ausgerichtet sind und überhaupt keine Verbindung zur Brotherstellung oder zu hungernden Menschen haben. Der im Auftrag der Vereinten Nationen und der Weltbank angefertigte Weltagrarbericht kommt zu dem Ergebnis, dass die industrielle Landwirtschaft eben nicht in der Lage ist, die Menschheit zu ernähren. Begründet wird diese Auffassung mit dem immensen Ressourcenverbrauch und der großen Abhängigkeit vom Öl. Der Bericht fordert die Wiederherstellung von kleinbäuerlichen Strukturen,[4] um den Hunger zu beseitigen. Boomende Nahrungsmittelmärkte nehmen keine Rücksicht auf den weltweiten Hunger. Können die Selbstregulierungskräfte der Märkte den weltweiten Hunger beseitigen? Vermutlich nicht. Die Hungerkatastrophe in Ostafrika im Jahr 2011 veranlasste viele Schriftsteller und Hilfsorganisationen dazu, die Menschenrechte in Erinnerung zu rufen. Nach Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ist die Beseitigung von Hunger kein Akt des guten Willens, sondern eine völkerrechtlich bindende Pflicht.
(Anmerkung: Dieser Artikel wurde auch im Internetteil der Wochenzeitung: der Freitag veröffentlicht.)
Nachtrag zum Artikel
Der Freitag verwendet in meinem Artikel in der Ãœberschrift den Begriff „Klimakrise“. Dieser Begriff stammt nicht von mir und ich versuche diesen Begriff zu vermeiden. Im Gegensatz zu sämtlichen Katastrophen die die Menschheit je miterlebt hat, wird sich die Klimakatastrophe vollkommen anders darstellen. Bei allen anderen Katastrophen war es irgendwann vorbei und die Menschheit konnte sich neu formieren. In diesem Zusammenhang kann der Begriff „Krise“ angewendt werden, denn eine Krise geht vorbei. Dies ist beim Klimawandel nicht möglich, da das veränderte Klima, mit allen Konsequenzen, bleiben wird. Eine Rückkehr ist nicht möglich. Es stellt sich die Frage, ob die Anpassungen an diese veränderte Natur überhaupt machbar sind. Außerdem hängt das Artensterben unmittelbar mit dem Klimawandel zusammen. Jahrhundertelang haben Landwirte die Biodiversität gefördert und somit die Arten geschützt. Die heutige Agrarindustrie gefährdet die Biodiversität und beschleunigt das Artensterben.
[1] Bei einer unterstellten Größe von 68 Meter mal 105 Meter
[2] Florian Schwinn, Raubbau an der Erde: Unser Krieg gegen den Boden, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 10´19, S.102.
[3] Vgl. Die 4-Promille-Initiative „Böden für Ernährungssicherung und Klima“ – Wissenschaftliche Bewertung und Diskussion möglicher Beiträge in Deutschland, www.literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn060523.pdf, abgerufen am 24.10.2019
[4] Vgl. www.weltagrarbericht.de, abgerufen am 26.07.2017