Viele Menschen haben überhaupt keine Vorstellung davon, was Investmentbanker und Broker so machen. Sie glauben aber, dass der Börsenhandel auf dem Parkett stattfindet und gut gekleidete Damen und Herren den ganzen Tag mit Wertpapieren spekulieren. Der Mythos des geschäftlichen Treibens suggeriert, dass Finanzmärkte genauso funktionieren wie der Handel mit Kartoffeln auf dem Wochenmarkt. Händler und Konsumenten gestalten offene und transparente Geschäfte, die Ware kann begutachtet werden und man bekommt genau das, was gewünscht wird. Jeder Marktteilnehmer hat die gleichen Informationen und der Staat beziehungsweise allgemein anerkannte Normen kontrollieren das Geschehen. Ist diese „schöne Illusion“ auf die Finanzmärkte übertragbar? Wohl kaum.
Es gibt keinen zentralen Platz und der Handel erfolgt in menschenleeren Rechenzentren zwischen den vernetzten Kabeln. Dieser automatisierte Handel findet selbstständig innerhalb von Sekundenbruchteilen statt und folgt den zuvor programmierten Algorithmen. Die Handelsentscheidungen werden immer seltener von Menschen getroffen, sondern die Algorithmen übernehmen das Kommando und reagieren im Mikrosekundenbereich auf Marktveränderungen. Beim sogenannten Frontrunning[1] werden Zeitunterschiede von Bruchteilen einer Millisekunde ausgenutzt. Die Vielzahl von technischen Eingriffen und Möglichkeiten schaffen die Voraussetzungen für einen Hochfrequenzhandel, der die Geschwindigkeit und das Handelsaufkommen sehr stark erhöht. Aufgrund dieser Technologie kann es zu Störungen auf den Finanzmärkten kommen. Hochfrequenzhändler sind häufig gleichzeitig an über 200 Computerbörsen tätig. Defekte und Störungen im System werden sich dann im Bereich von Millisekunden über den gesamten Globus ausbreiten.
Das reale Geschäft findet also nicht mehr auf dem schönen Börsenbankett statt, sondern in Datenzentren, die sich zunehmend einer Börsenaufsicht und -kontrolle entziehen. Insbesondere der over the counter – Handel (OCT) entzieht sich der Kontrolle. Dieser Handel birgt ein deutlich höheres Risiko als der Börsenhandel. Over the counter (frei übersetzt: „über den Tresen“) bezeichnet finanzielle Transaktionen zwischen Marktteilnehmern, die nicht über die Börse ausgeführt werden. Dies bringt für die Akteure der Finanzmärkte einige Vorteile. Insbesondere Investmentbanker reiben sich die Hände und freuen sich bei komplexen „Produkten“ über die hohen Margen die aus der Geld-Brief-Spanne (BID-ASK-Spread) entstehen. Als Nachteil ist der fehlende Referenzmarkt zu nennen. Häufig sind Referenzmärkte diejenigen Börsen, an der die Liquidität eines Wertpapiers am höchsten ist. Referenzmärkte benötigen eine Zulassung und müssen die Kriterien der Börsenordnung erfüllen. Dies gilt leider nicht für OTC Geschäfte. Außerdem wird bei diesen Geschäften die Markttransparenz eingeschränkt, da der Kunde keine Möglichkeit hat, Einsicht in das jeweilige Orderbuch zu nehmen. Daraus leitet sich der gravierendste Nachteil ab, nämlich die fehlende Kontrolle und Aufsicht dieser Märkte. Der OTC – Handel ist nicht nur bei Finanzprodukten, sondern auch bei Rohstoffen (insbesondere beim Rohöl) vollkommen intransparent. Deshalb muss nachdrücklich gefordert werden, dass solche Geschäfte nur über kontrollierte Handelsplattformen stattfinden dürfen. Damit würde man den Banken einen hochgradig riskanten Geschäftsbereich entreißen und die Krisengefahr mindern.
Die over the counter – Geschäfte haben rasant zugenommen. Das OCT Marktvolumen wird von der schweizerischen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auf 532 Billionen US-Dollar geschätzt. Die Finanzakteure beherrschen 80 Prozent der Weltökonomie und entziehen sich zunehmend der regulierten Kontrolle. Gerade die Finanzmärkte werden von wenigen machtvollen Unternehmen beherrscht. Von einem Leistungswettbewerb der Anbieter kann also keine Rede sein. Dies lässt sich am US-Konzern Blackrock darstellen, der momentan daran arbeitet, die Pensionen in Europa zu privatisieren. Dieser Megakonzern aus der Finanzwirtschaft, der erst im Jahre 1988 gegründet wurde, verwaltet mittlerweile 6.300 Milliarden Dollar Anlagekapital und ist weltweit an 17.000 Unternehmen beteiligt. Solche Megakonzerne dürften nur noch über kontrollierte Handelsplattformen ihre Geschäfte tätigen. Eine durchgreifende und strenge Kontrolle ist erforderlich, denn der OTC – Handel entzieht sich auch der Aufsicht der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Monopole und Teilmonopole haben in einer Sozialen Marktwirtschaft nichts zu suchen. Die Sichtweise der neolibetralen Ökonomie steht konträr zu dem Ziel der Machtbegrenzung in einer Sozialen Marktwirtschaft. In einen Interview des Handelsblatts vom 01. Oktober 2018 äußert sich der Bafin-Präsident Felix Hufeld über Zusammenschlüsse von größeren Banken in Deutschland: „Konsolidierung ist eine Option, aber sie ist kein Allheilmittel.“ Wo bleiben die kartellrechtlichen Bedenken? Scheinbar ist eine partielle Zerschlagung von Finanzimperien wie Blackrock in einer neoliberalen Ökonomie nicht möglich. Im Gegenteil, die Konzentrationen im Finanzsektor nehmen zu und eine Regulierung beziehungsweise Kontrolle solcher Finanzimperien wird immer problematischer.
[1] Da diese Handelspraxis auch auf Insider -Informationen zurückgreift, stufen die meisten Länder diesen Handel als illegal ein.