Steuern

20. April 2019

„Taxes are what we pay for a civilized society“[1]

(Inschrift an der Vorderseite des Hauptsitzes der US-Steuerbehörde IRS, Washington)

Die Entwicklung der Einkommensteuersätze

Ein Blick in die Geschichte der Einkommensteuersätze zeigt: Im Jahre 1920 betrug der Spitzensteuersatz in Deutschland 60 Prozent. Bis in die achtziger Jahre lag er bei 56 Prozent. Im Jahre 1932 betrug der Spitzensteuersatz im Amerika 63 Prozent, im zweiten Weltkrieg stieg er sogar auf 94 Prozent an. Nach dem Krieg wurden im Amerika die Steuern gesenkt und der Einkommensteuerspitzensatz betrug nur noch 70 Prozent. Der Vietnamkrieg hat den Steuersatz dann wieder auf 80 Prozent erhöht. Für die keynesianisch geprägte Ökonomie der damaligen Zeit war das aber kein Problem, denn Keynes meinte, der Wohlstand einer Nation hänge von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ab und die reichere Bevölkerung gebe ohnehin nur einen geringen Teil ihres Einkommens für den Konsum aus.

Die neoliberale Wende wurde durch den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan in den 1980er Jahren eingeläutet; auf britischer Seite war es Margaret Thatcher, die im Mai 1979 zur Premierministerin gewählt wurde. Sie formulierte: »there is no alternative« und meinte, dass es keine Alternative zur neoliberalen Welt gibt. Und weiter: „Gesellschaft – das gibt es nicht. Man schiebt die Probleme der Gesellschaft zu. Aber es gibt nur einzelne Männer und Frauen und ihre Familien.“ Mit der Negation der Gesellschaft wurden auch die gesellschaftsbindenden Steuern verhöhnt. Zunächst senkte der US-Präsident Reagan den Spitzensteuersatz von 70 auf 28 Prozent. Damit wurde eine Lawine losgetreten und der Steuerwettbewerb begann. Zunächst reduzierten die Engländer den Steuersatz und anschließend beteiligten sich fast alle Industrieländer an diesem Steuerdumping. Beispielsweise betrug  Anfang der 1980 er Jahre der Einkommensteuer-Spitzensatz in England 80 Prozent. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen lagen sogar noch darüber. Die Engländer senkten ebenfalls die  Spitzensätze massiv ab. In Deutschland wurde der Spitzensteuersatz, wenn auch zeitverzögert, von 53 Prozent auf 42 Prozent herabgesetzt.

Die Konsequenz dieser Einnahmenreduzierung war der explosionsartige Anstieg der Staatsverschuldung. Am Ende der Reagan-Ära stand auch die US-Administration vor einem enormen Berg von Schulden. Die öffentlichen Haushalte erlitten massive Einnahmeverluste mit der Folge, dass das amerikanische Haushaltsdefizit von circa 600 Milliarden Dollar (1981) auf über 18.000 Milliarden Dollar (2017) angestiegen ist. Diese neoliberale Rosskur führte auch in anderen Ländern zu massiven Einnahmeeinbußen und die Staatsverschuldung stieg rasant an. Die gerechte Verteilung der Lasten ist somit in eine Schieflage geraten.  Wenn nun Steuereinnahmen fehlen, müssen zwangsläufig Kredite aufgenommen werden. Jeder Hauseigentümer und Unternehmer weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kreditaufnahme unproblematisch ist, solange nachhaltige Werte (z.B. Klimaschutz) geschaffen werden. Wenn die zukünftige Generation aus diesen Krediten mehr Nutzen ziehen könnte als Zins und Tilgung kosten, ist eine Verschuldung sinnvoll.  Werthaltige Investitionen  lassen  sich problemlos über eine Verschuldung finanzieren. Jeder Ökonom kennt den sogenanten Leverage-Effekt, der erklärt, dass eine Fremdfinanzierung  sogar absolut sinnvoll sein kann. Die neoliberale Forderung nach Steuerreduzierung und gleichzeitigem Abbau der Staatsverschuldung entspringt allerdings einer sehr naiven ökonomischen und gesellschaftspolitischen Denkweise.

Resümee

Die Zeit zwischen den Jahren 1933 bis 1980 war dadurch gekennzeichnet, dass die Steuersätze weltweit vergleichsweise hoch waren und die Vermögenskonzentration in fast allen Staaten abnahm. Somit entstand eine moderne Mittelschicht. Seit der neoliberalen Wende der 80er und 90er Jahre wurden die Steuern wieder drastisch gesenkt. Die Schere zwischen Arm und Reich ging wieder auf, die Mittelschicht errodierte und die Einkommenskonzentration erreicht wieder den traurigen Stand von 1929. Außerdem entwickeln immer mehr Unternehmen, aber auch Privatpersonen, systematisch Steuervermeidungsstrategien und verstecken ihr Vermögen in Steueroasen. Ein Fünftel des Vermögens der Welt befindet sich, nach Schätzungen des Tax Justice Network , in solchen Steueroasen. Das Grundgesetz scheint an dieser Stelle keine Gültigkeit mehr zu haben. Artikel 14 Abs. 2 besagt: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Außerdem ist Deutschland ebenfalls eine Steueroase für kriminelle Quellen wie Waffenhandel und Drogen. Der Schattenfinanzindex (Financial Secrety Index) wird von unabhängigen Experten alle zwei Jahre veröffentlicht. Für das Jahr 2015 ergab sich folgendes Ranking der Schattenfinanzzentren: 1. Schweiz, 2. Hong Kong, 3. USA, 4. Singapur, 5. Kaimaninseln, 6. Luxemburg, 7. Libanon, 8. Deutschland, 9. Bahrain und 10. Dubai. Für Deutschland sicherlich kein Ruhmesblatt.

Steuern sind für eine zivilisierte Gesellschaft lebensnotwendig

Steuern sind der Preis für eine zivilisierte Gesellschaft. Dem ist nur zuzustimmen. Der Preis für die Steuergerechtigkeit ist ein kompliziertes und komplexes Steuersystem. Das Märchen vom Bierdeckel (Friedrich Merz) führt dazu, dass Steuervereinfachungen Steuerungerechtigkeiten hervorrufen. Der neoliberale Mythos der Steuerreduzierung und Steuervereinfachung wird in der Gesellschaft so lange gepredigt, bis alle Steuerbürger daran glauben. Notfalls wird die pseudowissenschaftliche Laffer-Kurve hervorgeholt, um auch den letzten Steuerpflichtigen die Schädlichkeit von Steuererhöhungen zu verkünden.

Ein zukunftsfähiges Steuersystem muss imstande sein, wirksame Umverteilungen (Klimaschutz, Einkommen und Vermögen) vorzunehmen.  Ein Steuerystem muss nicht einfach sein. Es muss aber gerecht und gesellschaftsbindend sein. Das deutsche Steuerrecht erfüllt diese Voraussetzungen. Um die gewaltigen Herausforderungen der Zukunft zu schultern, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Staat und auch mehr Steuern. Der internationale Steuersenkungswettlauf führt nur dazu, dass die Zivilgesellschaft geschädigt wird und  die staatlichen Lenkungsmechanismen schlechter funktionieren. Es fehlt das Geld für den Klimaschutz und die Reichen im Land werden immer reicher.

[1] Übersetzt: Steuern sind der Preis für eine zivilisierten Gesellschaft.

Weitere Artikel