Mit zunehmender Liberalisierung der Märkte hat sich der Finanzsektor nicht nur an die Spitze der Ökonomie gesetzt, sondern auch die Gesellschaft stark verändert bzw. indoktriniert. Der Finanzsektor spielte in den 1970er und 1980er Jahren kaum eine Rolle. Erst durch den zunehmenden Neoliberalismus drängte er sich an die Spitze. Die Nachkriegsjahre waren durch die keynesianische Ökonomie geprägt, das Banken- und Kreditwesen hatte eine dienende Rolle. Zu dieser Zeit war der Spruch von Ludwig Erhard, „Wohlstand für alle“, noch realistisch. Da sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital in den letzten 35 Jahren zugunsten des Kapitals radikal verändert haben, entstanden gewaltige Kapitalüberschüsse, die eine hohe Rentabilität forderten. Die Finanzwirtschaft koppelte sich zunehmend von der Realwirtschaft ab und neue Produkte wurden erfunden, sogenannte Finanzprodukte. Damit konnte wieder Wachstum erzeugt werden und die Mär vom „Wohlstand für alle“ wurde befeuert. Dieser Wohlstand kam aber nicht bei der ärmeren Bevölkerung an. Die Wachstumsraten wurden an der Börse generiert und flossen der reicheren Bevölkerung zu.
Am 07.11.2008 meldete das Handelsblatt, dass der Sportwagenbauer Porsche das beste Ergebnis in der Unternehmensgeschichte erzielt hat. Der Gewinn (vor Steuern) wurde mit 8,57 Milliarden Euro beziffert und somit war der Gewinn höher als der Umsatz. Ökonomen rieben sich die Augen. Wie kann ein Gewinn größer sein als ein Umsatz? Ist das ökonomisch überhaupt möglich? Es ist möglich und in der heutigen Zeit ist es auch kein Weltwunder. Porsche hat seinen Gewinn an der Börse erzielt. Da das reale Geschäft, der Verkauf von Sportwagen, stagnierte und kein Wachstum generiert werden konnte, hat man sich, über Aktienkäufe und Spekulationen, an andere Firmen beteiligt bzw. sogenannte Finanzmarktprodukte[1] erworben.
In der Realwirtschaft gibt es immer weniger zu verdienen. Deshalb ist es häufig einfacher, die Geldüberschüsse mit sogenannten Finanzprodukten zu erwirtschaften. „Damit haben sie ihr akutes Anlageproblem vorerst gelöst, der Menschheit jedoch zugleich ein Monster vor die Nase gesetzt, das für riesige Probleme sorgte: Die Armen werden immer ärmer und unmündiger, während eine immer kleiner werdende Schicht immer reicher und mächtiger wird.“[2]
„Nach Angaben der Deutschen Bundesbank haben sich die weltweit erfassten Kapitalströme zwischen 1975 und 2000 verdreißigfacht, während sich das Welthandelsvolumen ungefähr vervierfacht und das addierte Bruttoinlandsprodukt (BIP) verdoppelt haben.“[3]
Dies lässt sich am US-Konzern Blackrock darstellen, der die Pensionen in Europa privatisieren will. Dieser Megakonzern, der erst im Jahre 1988 gegründet wurde, verwaltet mittlerweile 6.300 Milliarden Dollar Anlagekapital und ist weltweit an 17.000 Unternehmen beteiligt. Seit dem Jahre 2016 ist Friedrich Merz (Politiker, Lobbyist, Freiberufler, Netzwerker und der mit der Bierdeckel-Steuerreform) Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Tochter von Blackrock. Politiker und Lobbyisten arbeiten auf finanzwirtschaftlich geprägten Märkten besonders eng zusammen (und sind mit zunehmender Liberalisierung häufig eine einzige Person). In der EU wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der ganz im Sinne von Blackrock ist und möglicherweise sogar von diesem Konzern mitgestaltet wurde. Es geht um das private Altersvorsorgeprodukt „PEPP“, dass europaweit eingeführt werden soll. Die Abkürzung steht für „Pan-European Personal Pension“. Dieser Entwurf wurde vom Vizepräsidenten der EU-Kommission Valdis Dombrovskis, der für die Regulierung der Finanzmärkte zuständig ist , eingebracht. Dieses private Altersvorsorgeprodukt ist ein Riesengeschäft für alle Finanzkonzerne und wird für ein kräftiges Wachstum auf den Finanzmärkten sorgen. Praktischerweise geben diese Konzerne, wie auf Finanzmärkten üblich, keine Kapitalgarantien. Die privatwirtschaftlich organisierten Renten werden dem Risiko der Finanzmärkte ausgesetzt. Fraglich ist, mit welcher Begründung die EU, Konzernen wie beispielsweise Blackrock, ein „Qualitätssiegel“ zur Vermarktung solcher Finanzprodukte erteilt. Werden innerhalb der EU-Kommission die Grenzen zwischen Politiker und Lobbyisten nicht mehr klar gezogen? Die Ausgaben der Unternehmen für Lobbyarbeit haben sich jedenfalls sehr stark erhöht. Da der US-Konzern Blackrock seine Ausgaben für EU-Lobbyarbeit verzehnfacht hat, kann vermutet werden, dass es sich hier um einen sehr stark wachsenden Markt handelt.
Das Wirtschaftswachstum kommt aber bei der einfachen Bevölkerung nicht an, weil es an den Börsen generiert wird und somit ist es mittlerweile kein Indikator mehr für wachsende Beschäftigung. Die neoliberale Ökonomie beziehungsweise das Finanzkapital hat es fertiggebracht, aus einer gleichgewichtigen Ökonomie keynesianischer Prägung einen Raubtierkapitalismus zu kreieren, der nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ agiert.
[1] Das Wort „Finanzprodukt“ ist vollkommen irreführend. Ein Produkt wird mit den sogenannten Produktionsfaktoren hergestellt und ist materieller Art. Finanzprodukte sind nicht materiell, sondern sie implizieren die Illusion, dass sich hinter diesen „Produkten“ Vermögensgegenstände (oder auch Schulden) verbergen. Es ist also strenggenommen eine Illusion und häufig nur eine Luftblase.
[2] Mohssen Massarrat, Weniger Profite, besseres Leben, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Februar 2018.
[3] https://agora42.de/schwaenze-die-mit-hunden-wackeln-oder-warum-die-finanzwirtschaft-wichtiger-ist-als-alles-andere/, aufgerufen am 01.07.2018