Warum diese Unterscheidung auch in der heutigen Zeit wichtig ist!
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert veränderten sich die institutionellen Ordnungen und es fand eine gewaltige Dynamisierung der Gesellschaft statt. Überall in Westeuropa wurde der Merkantilismus der Feudalzeit durch den Kapitalismus ersetzt. Die Ökonomie war vorher geprägt durch bedarfsorientiertes und bedarfsdeckendes Wirtschaften und Leistung und Gegenleistung entsprachen sich, waren Äquivalent.[1] »Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden Nicht-Äquivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch schafft keinen Wert.«[2]
Der Gebrauchswert war in der menschlichen Geschichte das Maß aller Dinge. Waren wurden gegen Geld getauscht und das Geld wurde wiederrum in Waren getauscht. Geld und Waren stellte ein Äquivalent dar. Der Kapitalismus änderte diese Sichtweise fundamental und der, von Karl Marx beschriebene, Tauschwert wurde dominant.
Beispielsweise lässt sich hier die Finanzkrise, die aus einer Immobilienblase in den USA entstand, aus dem Jahr 2008 anführen. Michael Lewis beschrieb in seinem Buch The Big Short[3] die Entstehung dieser Krise. Eine unterdurchschnittlich verdienende Tagesmutter in New York kaufte sich mit ihrer Schwester im Vorfeld der Krise 6 Häuser im Bezirk Queens. »Es war ganz einfach, nachdem sie das erste Haus gekauft hatten und es im Wert gestiegen war, kamen die Kreditgeber auf sie zu und schlugen eine Umschuldung vor, bei der sie 250.000 Dollar herausziehen konnten. Damit kauften sie das zweite Haus.« Die Preise der Immobilien stiegen und die Schwestern wiederholten den Vorgang. «Am Ende gehörten ihnen fünf solcher Häuser, der Markt brach ein und sie konnten für keines die Raten bezahlen.« Da sich viele Menschen in den USA ähnlich verhielten und immer mehr in dieses Spiel einstiegen, platzte schließlich die Immobilienblase. Letztendlich verloren vier Millionen Menschen ihre Häuser durch Zwangsvollstreckung. Durch die Entwertung der Immobilien verloren die Menschen ihre Immobilien und sie konnten ihre Schulden nicht mehr begleichen. »Ihr Streben nach Tauschwert hat sie letztlich um den Gebrauchswert der Immobilie gebracht.«[4]
Im September 2023 berichteten die Medien über die Immobilienkrise in China, die auch auf den Finanzsektor übergreift. Die Ansteckungsgefahr für die weltweite Finanzbranche ist durchaus gegeben. Durch die internationalen Verflechtungen wird sie die Märkte nicht so stark beeinflussen wie die Immobilienkrise im Jahr 2007 in den USA, so die Experten. Trotzdem ähneln sich die Muster und eine Parallele zu 2007 ist nicht zu verleugnen. Wieder geht es um Spekulationen um den Tauschwert.
Der Tauschwert stellt in der Marxschen Theorie ein genuin soziales Verhältnis dar und Geld wurde bei Marx zu einem Symbol menschlicher Beziehungen. Das Immobilienbeispiel aus den USA verdeutlicht die Wirkung des Tauschwertes. »Das rücksichtslose Streben nach Maximierung der Tauschwerte hat große Teile der Bevölkerung um den Gebrauchswert des Wohnraums gebracht.«[5]
Wie bereits ausgeführt, besteht der Systemzweck des Kapitalismus keineswegs in einer guten Güter- und Wohnraumversorgung und einem sorgsamen Umgang mit der Natur, sondern nur darin, aus Geld (G) mehr Geld (G`) zu machen. Das für die Warenproduktion eingesetzte Kapital muss vermehrt werden. Es geht weder um die Waren noch um deren Gebrauchswert, es geht nur um die Vermehrung des Tauschwertes bzw. des Kapitals. Insofern ist die Bewegung des Kapitals maßlos.[6] »Da es nicht auf Gebrauchswerte und damit auch auf die Bedürfnisse der Menschen als Zweck ausgerichtet ist, hat es kein externes Maß. Für sich gelassen wächst es um des Wachstums willen an.«[7] Der Überfluss und die Vernichtung von Waren spielen nur dann eine Rolle, wenn sie der Kapitalakkumulation dienen. Marx entwickelte aus diesen Erkenntnissen das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Er folgerte daraus, dass der Sinn des Kapitalismus nicht die Warenproduktion für den Bedarf der Gesellschaft sei, sondern der Profit. Dieser Widerspruch bewirke, dass das System immer wieder aus dem Gleichgewicht gerate. Der Zielkonflikt zwischen der Überproduktion von Gütern und der Begrenztheit natürlicher Ressourcen muss dazu führen, dass nur so viel wie tatsächlich erforderlich ist, produziert wird. Dies sieht dieses Wirtschaftssystem aber nicht vor, die Überproduktion der Güter ist gewissermaßen eingepreist. Der britische Ökonom Tim Jackson bemerkte, dass das gegenwärtige ökonomische System »pervertierte Anreizstrukturen für Investitionen« schaffe. Das System belohne diejenigen, die selbstsüchtig Menschen und Natur ausbeuten und es bestraft diejenigen, die ökologische Investitionen durchführen wollen, weil diese Kapitalanlagen häufig weniger Gewinne abwerfen.
[1] »Wenn Wert in der sozialen Form des Tauschwerts realisiert wird, werden Äquivalente ausgetauscht: Drei Stunden Backarbeit, die sich in 50 Broten vergegenständlicht, werden mit zwei Stunden Tischlerarbeit, die sich in einem Stuhl vergegenständlicht, gleichgesetzt, indem 50 Brote gegen einen Stuhl getauscht werden. Der Tausch ist, so die Marxsche Grundannahme, möglich, weil auf beiden Seiten ein Identisches steht – menschliche Arbeit (in unterschiedlicher Form als Bäcker- und Tischlerarbeit).« (Michael Quante, Der unversöhnte Marx, Paderborn, 2. Auflage, 2022, S. 69)
[2] Marx Engels Werke (MEW), 23, Berlin, 1979, S.177/178.
[3] Michael Lewis, The Big Short, Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte, Frankfurt a.M., 2010, S. 124.
[4] David Harvey, Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus, Berlin, 2014, S. 39.
[5] David Harvey, Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus, Berlin, 2014, S. 40.
[6] MEW, 23, S. 162 ff.
[7] Michael Quante, Der unversöhnte Marx, Paderborn, 2. Auflage, 2022, S.74.