Der steuerliche Verlustabzug

12. März 2024

»Die ökonomisch Starken, sind die sozial Schwachen.» (Hagen Rether, Kabarettist)

In den beiden letzten Blogs („Die Kurspflege muss eingehegt werden“ und „Die leistungslosen Einkommen müssen eingehegt werden“) habe ich mich damit beschäftigt, dass Steuererleichterungen nicht zwangsläufig zu einer Steigerung der volkswirtschaftlichen Investitionen führen. Beispielsweise werden Steuervergünstigungen für Aktiengesellschaften häufig dazu genutzt, Aktienrückkäufe zu organisieren.

Der kranke Mann

Die deutsche Wirtschaft dümpelt vor sich hin und die Ampelparteien legen sich gegenseitig lahm. Die Union und die FDP sehen in Deutschland Wettbewerbsprobleme und sie werden nicht müde, den Standort in Verruf zu bringen. Liberale und die Union fordern Steuersenkungen für die Unternehmen, weil die Steuergesetzgebung angeblich ein wichtiger Standortfaktor ist. Obwohl Steuern bei der Standortwahl eine untergeordnete Rolle spielen, erzählen viele Unternehmen den Politikern immer die gleichen Geschichten, nämlich – gewährt uns Steuervorteile und wir garantieren Investitionen und Jobs bis in alle Ewigkeit.

Schon seit längerer Zeit fordert die FDP eine Abschaffung des Solidaritätsbeitrages für die reiche Bevölkerung. Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung entfiel der Solidaritätsbeitrag im Jahr 2021. Wenn nun die reichere Bevölkerung vom Soli befreit werden sollte, entgeht dem Staat 12 Milliarden Euro pro Jahr und es gibt keinerlei Garantie dafür, dass diese Steuersenkung automatisch zu erhöhten Investitionen führt.

Wird die Investitionsquote durch Steuersenkungen steigen?

Steuerzahlungen vermindern grundsätzlich für alle Bürgerinnen und Bürger und auch für alle Unternehmen den finanziellen Transaktionsrahmen. Dieser Abfluss von liquiden Mitteln kann für Unternehmen zur Folge haben, dass sich das Investitionspotenzial schmälern kann. Dies trifft aber nicht für alle Unternehmen gleichermaßen zu, weil vielfältige Anpassungs- und Ausweichhandlungen möglich sind. 

Investitionen sind für Unternehmen grundsätzlich nur dann vorteilhaft, wenn der Gewinn erhöht wird. In der Betriebswirtschaftslehre gibt es eine Vielzahl von sogenannten Investitionsrechenverfahren. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg darüber, inwieweit Steuern das Investitionsverhalten verändern. Wenn sich nun ein Unternehmer entschließt eine bestimmte Maschine anzuschaffen, wird er zu einem mehr oder weniger komplexen Investitionsrechenverfahren greifen. Gehen wir davon aus, dass die neu anzuschaffende Maschine ihm einen sicheren Gewinn von 100.000 Euro beschert. Wird nun der Unternehmer auf die Investition verzichten, weil die Einkommensteuer von 42 % auf 50 % gestiegen ist? Wohl kaum. Der Sachverhalt lässt sich auch umkehren. Das bedeutet, dass Steuern in der Planung von Investitionsvorhaben kaum eine Rolle spielen.

Wenn die Steuervorteile nicht wie gewünscht gewährt werden, kommt dann der Vergleich mit anderen Ländern ins Spiel, um dann zu dem erwartbaren Ergebnis zu kommen, dass die Einkommensteuersätze in Deutschland zu hoch sind und die Wettbewerbsfähigkeit darunter leidet. Ein bloßer Vergleich der Steuersätze ist weder sach- noch fachgerecht. Da Deutschland zu den wenigen Ländern zählt, die einen Verlustabzug im Einkommensteuergesetz ausgewiesen haben, greifen die Vergleiche mit anderen Staaten viel zu kurz. Denn die Verluste lassen sich verrechnen, wenn die Summe der Einkünfte negativ ist.

Der Verlustabzug

Über den § 8 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) gelten die Vorschriften über den Verlustabzug nach § 10 d Einkommensteuergesetz (EStG). Danach sind Verluste einer Kapitalgesellschaft i.H.v. 1 Mio. € auf den vorhergehenden Veranlagungszeitraum rücktragsfähig. Soweit der Verlust nicht zurückgetragen wird, ist er zeitlich unbegrenzt vortragsfähig. Wenn die Verluste nicht ausgeschöpft werden, können sie weiter vorgetragen werden. Verluste gehen somit nicht unter und es findet in der vortrags- und rücktragsfähigen Zeit keine Besteuerung statt. Dies gilt aber nicht nur für die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Auch die Gewerbesteuer kennt einen Verlustabzug (Vgl. § 10 a GewStG).  Nach dieser Regelung können Verluste lediglich vor- und nicht in Vorjahre zurückgetragen werden.

Durch einen Verlustabzug gemäß § 10 d EStG lassen sich nun mehrere Millionen Euro Verlust zeitlich entkoppeln, sodass verlustreiche Unternehmen nicht nur im Jahr des Verlustes von der Steuer befreit sind, sondern auch noch die Möglichkeit eines Verlustrücktrags bzw. eines Verlustvortrags haben. Steuerrechtlich gibt es demzufolge einen horizontalen Verlustausgleich (Verrechnung von positiven und negativen Einkünften innerhalb einer Einkunftsart) und einen vertikalen Verlustausgleich (Verrechnung von positiven und negativen Einkünften verschiedener Einkunftsarten). Selbst Spekulationsgeschäfte sind unter bestimmten Voraussetzungen abzugsfähig. Beim Verlustausgleich »weisen einzelne Länder sehr unterschiedliche Regelungen auf. So sind die überperiodischen Verlustausgleichsregeln mehrheitlich restriktiver als in Deutschland ausgestaltet. Dies zeigt sich vor allem daran, dass viele Länder keinen Verlustrücktrag kennen.«[1] Deshalb ist es für viele Unternehmen vorteilhaft, ihre Verluste in Deutschland zu »versteuern«. Obwohl in diesem Fall keine Steuern gezahlt werden, wird aber absurderweise gleichzeitig darüber geklagt, dass die Unternehmenssteuern in Deutschland zu hoch sind. Ein einfacher Ländervergleich der Steuersätze ist für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit purer Populismus.

Darüber hinaus gibt es noch sehr viele steuerliche Besonderheiten und Vergünstigungen im deutschen Steuerrecht, die andere Länder nicht gewähren. Die deutschen Unternehmen beanspruchen diese Vergünstigungen sehr gerne und sie halten im Gegenzug das Narrativ des ineffizienten und regulativem Steuerstaat aufrecht.  


[1] Bundesministerium der Finanzen, Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich, Ausgabe 2016, Berlin, S. 23., abgerufen am 25.08.2017.

Weitere Artikel