„Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, das er es nicht versteht.“
Upton Sinclair
Die Corona-Krise weitet sich zu einer Wirtschaftskrise aus und die Folgen sind für viele Menschen jetzt schon spürbar. In diesem Blog möchte ich die Wirtschaftskrise aus dem Blickwinkel des Kapitalmarktes betrachten. Medial wird berichtet, dass diese Wirtschaftskrise die Finanzkrise aus dem Jahre 2008 noch in den Schatten stellen wird, so der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Der Rat geht davon aus, dass das Wirtschaftswachstum stärker einbrechen wird als im Jahre 2008/2009. Seit dem Rückzug von Peter Bofinger (Ökonomie-Professor und Wirtschaftsweiser von 2004 bis 2019) aus dem Sachverständigenrat werde ich den Verdacht nicht los, dass die Wirtschaftsweisen nur noch der neoliberalen Theorie verpflichtet sind, während Peter Bofinger häufig eine Minderheitenmeinung vertrat und damit zeigt, dass er auch außerhalb der Mainstream-Ökonomie denken kann. Dies gilt insbesondere für seine Analysen seit der Finanzkrise im Jahre 2008.
Haben wir ökonomisch nichts aus der Finanzkrise gelernt?
In einem Interview in der „Börse am Sonntag“ sagte Peter Bofinger am 02.04.2020: „In der Krise wird deutlich: Geld auf dem Bankkonto ist gar keine so schlechte Anlage.“ Dem stimme ich zu. Friedrich Merz hingegen vertraut den Märkten und er will Teile der Altersvorsorge[1] über den Kapitalmarkt abdecken. Gerade in der heutigen Zeit merken wir hingegen, dass „der Markt gar nichts richtet, außer den Wucher.“ (Ulrike Baureithel)
Die Finanzwirtschaft
Der Lobbyist Friedrich Merz wollte Ende März 2020 seinen Aufsichtsratsposten (Vorsitzender in Deutschland) bei Blackrock aufgeben. Blackrock will europaweit das private Altersvorsorgeprodukt „PEPP“ einführen. Die Abkürzung steht für „Pan-European Personal Pension“ und es ist ein Riesengeschäft für alle Finanzkonzerne. Praktischerweise geben diese Konzerne, wie auf Finanzmärkten üblich, keine Kapitalgarantien. Die privatwirtschaftlich organisierten Renten werden somit dem Risiko der Finanzmärkte ausgesetzt. Dieses Risiko haben viele Menschen gespürt, als im Jahre 2008 die Finanzmärkte zusammenbrachen, heute droht schlimmeres Ungemach, weil die Realwirtschaft wesentlich stärker betroffen ist. Nach der Finanzkrise sind keine zielführenden Regulierungen vorgenommen worden und außerdem wurde die Finanzwirtschaft zunehmend von deregulierten Nichtbanken dominiert. „Mit 149 Billionen Dollar wurde fast die Hälfte des gesamten Finanzvermögens auf der Welt zuletzt nicht mehr von Banken bewegt, sondern von Versicherungen, Pensionsfonds und einer wachsenden Zahl anderer Finanzvermittler. Zu diesen gehören auch gewaltige Schattenbanken.“[2]
Ist es wieder soweit?
Nach der letzten Finanzkrise wollten Politikerinnen und Politiker fast aller Parteien die Finanzmärkte regulieren. Scheinbar ist nicht viel passiert. Jetzt liest man in den Zeitungen wieder von Leerverkäufen und es wird munter für oder gegen das Corona-Virus gewettet. Es befinden sich nach wie vor unzählige sogenannte Finanzprodukte auf dem Markt, die keinen Bezug zu ökonomischen Werten haben, weil sie ausschließlich Spekulationsgeschäfte bedienen. Man leiht sich im Rahmen von Leergeschäften Aktien und ist aufgrund dieser Rechtslage Besitzer dieser Aktien. Mit diesen Aktien wird dann gewettet und wenn man Glück hat, können diese Aktien später am Markt günstiger eingekauft werden um sie dann anschließend dem Verleiher zurückzugeben. Der so entstandene „Gewinn“ hat hingegen keinen ökonomischen Bezug und ist als leistungslose Rente zu qualifizieren.
Derivate und Termingeschäfte
Derivate sind sogenannte Finanzmarktprodukte, die in einer unvorstellbaren Menge im Minutentakt künstlich von den Großbanken erzeugt werden. Es handelt sich um Termingeschäfte, also einen Markt auf den Art, Menge, Preis und Liefertermin in der Gegenwart festgelegt werden; die Erfüllung des Geschäfts erfolgt aber erst in der Zukunft. Im Gegensatz dazu fallen bei einem Kassamarkt Abschluss und Erfüllung des Geschäfts zeitlich zusammen.
Bei Termingeschäften wird auf künftige Erwartungen spekuliert. Die zukünftige Entwicklung des Corona-Virus ist noch nicht einmal durch die Virologen vorhersehbar, aber die Glaskugelleser der Finanzwirtschaft spekulieren schon. Derivate ermöglichen die Trennung von dinglicher Inhaberschaft am Basiswert einerseits und die Partizipation an dessen Risiko andererseits. Bespielhaft legen wir einen Vertrag über den Kauf von hundert Fass Rohöl zugrunde. Käufer und Verkäufer fixieren den Preis in der Gegenwart, die Erfüllung des Vertrages erfolgt aber erst in drei Monaten. Diese Vorgehensweise ist dann für den Käufer vorteilhaft, wenn der Rohölpreis steigt. Der Käufer erspart sich damit die gestiegenen Kosten. Dies ist durchaus sinnvoll, da Warentermingeschäfte das Risiko verteilen und eine Rückversicherung für Risikovermeider darstellen. Das Derivat, also der gegenseitige Vertrag, wird aber dann zum reinen Spekulationsgeschäft, wenn der Käufer das Rohöl für seine eigene Produktion überhaupt nicht benötigt. Das Geschäft wird nur deshalb getätigt, um das Öl zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen. Der Gewinn entsteht dann über die Preisdifferenz, weil Preis- und Kursschwankungen im Zeitablauf ausgenutzt werden. Solche, inflationär angebotenen, Derivate gibt es für Rohstoffe, Aktien, Anleihen, Lebensmittel, Schutzkleidung aber auch für marktbezogene Referenzgrößen wie beispielsweise Zinssätze. Selbst Wetten über Insolvenzen, Staatsbankrotte, Hungersnöte und Corona-Krisen lassen sich in Derivate verpacken und fertig ist das „Wertpapier“.
Over the Counter
Die Over-the-Counter – Geschäfte stellen einen weiteren Problembereich dar. Auf dieser Homepage befinden sich einige Blogs, die sich mit der Preisbildung von Rohöl beschäftigen. Hier muss betont werden, dass der Handel des Rohöls vorrangig nicht über die Börse, sondern nach dem –over the-counter (OTC) – Prinzip erfolgt. Der Handel findet also zwischen zwei Partner außerhalb der Börse statt. Da der außerbörsliche Handel nicht kontrolliert wird, sind Spekulationsblasen zu erwarten. Deshalb ist es dringend erforderlich, den Handel mit Rohöl außerhalb der Börse zu verbieten. Dieser Handel muss zwingend über die Börse kontrolliert und reguliert werden. Der unkontrollierte OTC-Handel ist aber seit der Finanzkrise explosionsartig, auch für andere Produkte (z.B. Schutzkleidung und Schutzmasken), angestiegen. Es ist seit der Finanzkrise versäumt worden, diesen Handel zu kontrollieren. Jetzt ist die Verwunderung groß, dass Schutzmasken in „Wildwestmanier“ gehandelt werden. Um diesen Markt besser kontrollieren zu können, wurde auch eine Finanztransaktionssteuer diskutiert. In Deutschland ist es weitestgehend bei der Diskussion geblieben.
Die Finanztransaktionssteuer
Für die Finanztransaktionssteuer gilt: Alter Wein in neuen Schläuchen, denn diese Steuer ist kein Novum. Die damalige Börsenumsatzsteuer fiel in den 1990 er Jahren der neoliberalen Wende zum Opfer. Die Börsenumsatzsteuer war eine Kapitalverkehrsteuer die auf den Handel mit Schuldverschreibungen, Aktien und Investmentzertifikate erhoben wurde. Die Steuer berechnete sich je nach Wertpapierart mit 1 Prozent für öffentliche Anleihen und 2,5 Prozent vom Kurswert für festverzinsliche Wertpapiere und Aktien. Durch das Finanzmarktförderungsgesetz schaffte die damalige Bundesregierung die Steuer im Jahre 1991 ab. Jetzt wird schon seit 1997 über die Wiedereinführung diskutiert. Die Finanztransaktionssteuer (FTT) funktioniert vom Prinzip her wie eine Umsatzsteuer auf börsliche und außerbörsliche (OTC) Finanztransaktionen. Während die Steuersätze der damaligen Börsenumsatzsteuer zwischen 1 und 2,5 Prozent lagen, werden heute Steuersätze zwischen 0,01 und 0,1 Prozent diskutiert.
Auch nach der Finanzkrise 2008 blieb es nur bei der Diskussion; denn die Finanztransaktionssteuer ist nach wie vor nicht in Deutschland eingeführt worden. [3] Die Finanztransaktionssteuer hätte für die Finanzmärkte eine ausgleichende und stabilisierende Wirkung, die volkswirtschaftlichen Gleichgewichte kämen stärker zur Geltung und der Hochfrequenzhandel würde sich beruhigen. Die langfristigen Investitionen werden von der Steuer kaum tangiert und kurzfristige Spekulationen reduzierten sich. Die Gefahrenlage zukünftiger Finanzkrisen vermindert sich ebenfalls und der Staat könnte durch die Steuermehreinnahmen wichtige Investitionen tätigen. Diese entgangenen Einnahmen hätten wir in der heutigen Krise gut gebrauchen können.
Was bleibt?
Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollten die Finanzmärkte „an die Kette legen“ und regulieren. Dies ist nicht bzw. sehr halbherzig geschehen. Leerverkäufe, Derivate und OTC-Geschäfte erfreuen sich nach wie vor wachsender Beliebtheit und auch die Finanztransaktionssteuer wurde in Deutschland nicht eingeführt. Damit besteht weiterhin die Möglichkeit, dass Investoren und Spekulanten in Katastrophenzeiten glänzende Geschäfte zu Lasten der Allgemeinheit tätigen können. Es steht zu befürchten, dass Spekulanten wieder auf die Pleiten einzelner Länder wetten. Um dies zu verhindern, sollte über die Einführung von Euro-Bonds (oder auch Corona-Bonds) ernsthaft nachgedacht werden. In Europa droht der Kollaps, wenn einige europäischen Staaten nicht mehr in der Lage sind, ihre Zinsen zu zahlen. Dies könnte aufgehalten werden, wenn die starke Bonität Deutschlands die relativ schlechte Bonität Italiens zu Hilfe käme, denn deutsche Anleihen (Bonds oder Schuldverschreibungen) sind am Kapitalmarkt begehrt und das könnte zinsdämpfend wirken.
Wir müssen uns den kategorischen Imperativ Kants zurückerobern, denn das Credo der neoliberalen Finanzwirtschaft hat den Imperativ in das Gegenteil verkehrt, nämlich: Betreibe Gewinnmaximierung auf Teufel komm raus – und die Schädigung anderer Menschen verbuchen wir als Kollateralschaden.
[1] Der Frankfurter Börsenhändler Volker Handon definiert derartige Finanzprodukte: „Bei echter Transparenz müsste sich jedes Finanzprodukt für die Alterssicherung als Wette oder Spekulation outen.“
[2] Hans-Jürgen Urban, Wirtschaftsdemokratie als Transformationshebel, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2019, 11/19, S.107
[3] Die Länder Frankreich, Irland, Zypern, Finnland und Griechenland haben diese Steuer unmittelbar nach der Krise eingeführt.