„Erosion ist ein langsamer Vorgang.“ (Max Frisch)
Der Ukraine-Krieg und die darauffolgende Gas- und Energiekrise haben es sehr deutlich gemacht. Wir benötigen einen radikalen Umbau der industriellen Strukturen. Die Kreislaufwirtschaft könnte eine Lösung sein. Doch Vorsicht – der traditionelle Wirtschaftskreislauf, der noch vielfach an den Wirtschaftsschulen und Universitäten gelehrt wird, ist damit keineswegs gemeint.
Tableau economique
Der französische Arzt und Ökonom Francois Quesnay (1694–1774) entwickelte das Tableau economique, den sogenannten Wirtschaftskreislauf. In diesem Kreislauf werden alle volkswirtschaftlichen Geld- und Güterströme abgebildet und er dient vielen neoliberalen Politikerinnen und Politiker zur Erläuterung der ökonomischen Zusammenhänge. Gebetsmühlenartig wird erklärt, dass ein Wirtschaftssystem aus verschiedenen Sektoren besteht: Unternehmen, Haushalten, Banken (Vermögensveränderungssektor), Staat und Ausland. Im Wirtschaftskreislauf treten die genannten Sektoren in verschiedene Austauschverhältnisse. Die Haushalte stellen den Unternehmen ihre Arbeitskraft zur Verfügung, im Gegenzug erhalten sie Löhne und Gehälter. Die Unternehmen produzieren Waren, die Haushalte kaufen diese Waren und haben demzufolge Konsumausgaben. Die Haushalte geben aber nicht ihr gesamtes Einkommen für die Waren aus, sondern halten Teile ihres Einkommens zurück, sie sparen. Die gesparten Mittel werden zur Bank gebracht. Die Unternehmen wollen investieren. Das Geld wird ihnen von der Bank zur Verfügung gestellt. So wird das von den Haushalten ersparte Geld im Unternehmen produktiv angelegt; Kapital wird gebildet. Jetzt kann dieser Kreislauf noch erweitert werden. Beispielsweise kann der Staat noch mit aufgenommen werden, sodass die Austauschverhältnisse weiter differenziert (Steuern, Subventionen usw.) werden können. Die Importe und Exporte lassen sich mitberücksichtigen, wenn das Ausland in diesen Wirtschaftskreislauf integriert wird. Jeder Sektor hängt mit jedem anderen Sektor zusammen. Daraus folgt, dass die Ausgaben des einen Sektors die Einnahmen des anderen Sektors sind.
Prozess versus Kreislauf
Ich erspare mir zunächst eine Kritik an diesem Wirtschaftskreislauf. Nur so viel – jedes Schulkind sollte wissen, dass die Basis für die Herstellung der Güter nicht von den Unternehmen kommt, sondern aus der Natur. Die industriellen Unternehmen formen lediglich die Rohstoffe um und stellen mehr oder weniger brauchbare Produkte her.
Der Wirtschaftskreislauf wird als Modell dargestellt. Modelle bilden die Realität natürlich nur unzureichend ab, aber auch sie müssen wahr sein. Dies trifft beim Wirtschaftskreislauf nicht zu, da Wirtschaften ein Prozess ist und kein Kreislauf. Wenn also über eine Kreislaufwirtschaft debattiert wird, muss der Prozess im Mittelpunkt stehen. Dieser Prozess basiert auf einem Stoffwechsel mit der Natur. »Im Wirtschaftsprozess werden geordnete Materie und Energie unwiderruflich verbraucht und in ungeordnete Materie und Energie umgewandelt.«[1] Dieser Sachverhalt wird im traditionellen Wirtschaftskreislauf nicht korrekt abgebildet. Stattdessen wird unterstellt, dass die Unternehmen grenzenlos Güter produzieren können. Naturwissenschaftlich ist das natürlich nicht möglich.[2] Dies wurde bereits im 19. Jahrhundert von Physikern formuliert.
Der Knackpunkt – die Thermodynamik
Die nachfolgenden Gesetze scheinen an allen Orten der Welt und zu allen Zeiten gültig zu sein. Rudolf Julius Emanuel Clausius (1822–1888) gilt als Entdecker der Entropie und des Hauptsatzes der Thermodynamik. Der Energieerhaltungssatz, das erste thermodynamische Gesetz, besagt, dass Energie nur umgewandelt werden kann. Insofern kann Energie weder geschaffen noch vernichtet werden. Jeder Produktionsprozess wandelt die Energie um. Die Energie bleibt weltweit konstant, lediglich wird die geordnete Materie und Energie durch den Produktionsprozess umgewandelt in ungeordnete Materie und Energie.[3] Dies führt uns zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Die Energie wird von einer Form in eine andere Form umgewandelt. Ein Großteil der Energie dissipiert, sie wird in Wärme umgewandelt. Alle vom Menschen freigesetzte und genutzte Energie wird im Laufe der Zeit in Wärme transformiert. Diese Wärme wird gleichmäßig verteilt, der Mensch kann sie nicht mehr nutzen. »Wenn die Energiequelle nicht die direkte Sonnenstrahlung ist, sondern Brennstoffe irgendwelcher Art, einschließlich von Kernbrennstoffen, erwärmt diese freigesetzte Wärme im Endeffekt die Atmosphäre.«[4] Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik wird auch Entropiesatz genannt. Die Entropie nimmt innerhalb eines geschlossenen Systems immer mehr zu, die Entropie strebt einem Maximum zu.[5] Diese Sachverhalte werden im Wirtschaftskreislauf unterschlagen. Da die Erde aber eine endliche Oberfläche hat, sind die Vorräte logischerweise auch endlich. Knappe Ressourcen werden als Input für den Produktionsprozess durch unsere Anbieterin, die Natur, bereitgestellt. Im Wirtschaftskreislauf werden die Güter auf magische Art und Weise aus dem Nichts von den Unternehmen erschaffen. Der verschwenderische Umgang mit den Ressourcen wird komplett ausgeblendet. Dass jede Produktion Energie umwandelt, siehe erstes thermodynamisches Gesetz, wird nicht erwähnt. Die Quelle dieser Stoffströme, unsere Anbieterin, findet keine Berücksichtigung, im Gegenteil, die Natur wird auf Teufel komm raus ausgebeutet. Im traditionellen Wirtschaftskreislauf findet auch das zweite thermodynamische Gesetz keine Beachtung, denn »(w)enn die thermale Verschmutzung einen nennenswerten Bruchteil der von der Erde absorbierten Sonnenenergie erreicht, kann sie zu schwerwiegenden klimatischen Störungen führen.«[6] Daraus folgt, dass durch eine entfesselte, ständig wachsende Wirtschaft immer mehr Energie und Materie umgewandelt wird, das führt zu einer zunehmenden Erwärmung. Die genannten Quellen und Senken finden keine Berücksichtigung im Wirtschaftskreislauf. Es werden weder Ressourcen verbraucht noch wird die Umwelt verschmutzt. Aus ökologischen Erwägungen heraus ist die durchgängige Betrachtung von Quellen und Senken in der gesamten Ökonomie anzuwenden. Insbesondere ist der Kohlenstoffkreislauf zu beachten. Wir benötigen eine Ökonomie, die das ökologische Gleichgewicht und den stofflichen Kreislauf konsequent in den Mittelpunkt stellt, denn nach den Gesetzen der Thermodynamik wird alle vom Menschen freigesetzte und genutzte Energie in Wärme verwandelt.
Wenn dieser Sachverhalt in den Mittelpunkt der Überlegungen zur Kreislaufwirtschaft gestellt wird, kann eine Kreislaufwirtschaft gelingen. Diese Erkenntnisse verdanken wir dem Wissenschaftler Nicholas Georgescu-Roegen (1909–1994), der den Versuch unternahm, die Thermodynamischen Gesetze der Physik auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu übertragen. Er forschte bis zu seinem Tod an der Vanderbilt-Universität in Nashville (USA). Georgescu-Roegen schrieb bereits 1971: «Jeder heute neu gebaute Cadillac verkürzt die Lebenschancen künftiger Generationen.«
Kreislaufwirtschaft, jetzt
Eine vernünftigen Kreislaufwirtschaft dürfte nur Automobile herstellen, die für das Gemeinwohl dringend benötigt werden. Die Konsumenten mögen sich über den Benzinverbrauch eines Automobils streiten. Auch wird man nicht müde, die Elektroautos als nachhaltig zu bezeichnen. Fakt ist aber, dass jedes Automobil in der Herstellung mehr Energie benötigt als später im Gebrauch. Das bedeutet, dass die betriebswirtschaftliche Sichtweise in den Hintergrund treten muss und die volkswirtschaftlichen Sachverhalte zu betrachten sind. Wie ist es sonst zu erklären, dass immer effizientere Aggregate gebaut werden, der volkswirtschaftliche Energieverbrauch in Deutschland aber seit 60 Jahren stark ansteigt. Der Rebound-Effekt gehört in den Mittelpunkt aller ökonomischen Betrachtungen. Dies lässt sich auch im Bild der aktuellen Gasproblematik darstellen. Die „Brandenburgische Glasmanufakturen, die Solarglas für Photovoltaikanlagen herstellen, verbrauchen täglich 420.000 kWh auf der Basis von Gas.“ (Kathrin Gerlof) Und noch ein Seitenhieb auf jüngere Klimaschützer: „Das Internet benutzen, bedeutet Kohle zu nutzen.“ (Jean-Marc Jancovici und Christophe Blain)
Deshalb muss sich die gegenwärtige Politik aus ihrer immer gleichen Logik befreien, denn es geht nicht mehr um die Aufrechterhaltung des Status quo. Es ist doch offensichtlich, wir stolpern von einer globalen Interdependenzkrise in die nächste. Es geht darum, die künftige Klimakatastrophe, soweit es möglich ist, zu entschärfen und die Interdependenzen aufzuzeigen. Wenn man die Thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten auf die ökonomischen Zusammenhänge überträgt, kommt man zwangsweise zu dem Ergebnis, dass die Klimakatastrophe nur mit wirtschaftlicher Schrumpfung und Verzicht bekämpft werden kann. Dies widerspricht aber dem Wachstums- und Akkumulationszwang des Kapitalismus.
[1] Peter Weise, Neue Mikroökonomie, Heidelberg, 2005, S. 264
[2] Vgl. Peter Weise, Neue Mikroökonomie, Heidelberg, 2005, S. 264
[3] Peter Weise, Neue Mikroökonomie, Heidelberg, 2005, S. 264
[4] Dennis Meadows, Die Grenzen des Wachstums, Hamburg, 1973, S. 61
[5] Peter Weise, Neue Mikroökonomie, Heidelberg, 2005, S. 264
[6] Dennis Meadows, Die Grenzen des Wachstums, Hamburg, 1973, S. 61 / 62