»Zudem ist die ontologische Verflachung ein perfektes Mittel, sich aus der moralischen Verantwortung zu ziehen. Ich war es nicht, Herr Richter, mein Revolver hat das Opfer erschossen!« (Guillaume Paoli)
Um die Klimaprobleme zu bewerkstelligen, müssen Veränderungen im Wirtschaftssystem vorgenommen werden. Ob die Bereitschaft dazu da ist, darf bezweifelt werden. Zumal der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman im Jahr 2021 angekündigt hat, »jedes Molekül« der 267 Milliarden Barrel Rohöl zu fördern, die im Untergrund des Landes lagern.[1] Der künftige oder frühere US-Präsident Donald Trump ist definitiv nicht dazu bereit, etwas zu ändern. Er hat in seiner vergangenen Amtszeit schon häufig erwähnt: Wenn das Rohöl in der Erde bleibt, so Trump, werden Vermögenswerte in Höhe von mehreren Billionen Dollar vernichtet. Dies hat er als ökonomischen Wahnsinn bezeichnet. Klar, die ökonomische Logik besagt, dass „Brennstoffe, die nicht verbrannt werden können, nicht viel wert sind.“ (Alex Steffen) Dieser Logik schließen sich die meisten Politikerinnen und Politiker an und setzen auf die Macht der fossilen Brennstoffe. So auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau, der sich auf der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 so vehement für das 1,5 Grad Ziel eingesetzt hat. Zwei Jahre später hat er scheinbar seine Meinung geändert. Er sagte im Frühjahr 2017 vor Ölarbeitern in Houston (USA): »Kein Land, das 173 Milliarden Barrel Öl im Boden findet, würde sie einfach dort lassen.« Wenn diese Menge dann tatsächlich verbrannt wird, wäre das 1,5 Grad Ziel, und wahrscheinlich auch das 2 Grad Ziel, nicht mehr zu erreichen. Wobei diese Formulierung fehlerhaft ist. Eine Erwärmung um 2 Grad ist nicht das Ziel, sondern die maximale Obergrenze. Neuste Studien gehen ohnehin davon aus, dass das CO2-Budget nicht erst im Jahr 2030 aufgebraucht ist, sondern bereits im Jahr 2026 – falls die weltweiten Emissionen nicht deutlich sinken.
Der Permafrostboden und die permanente Naturausbeute
Diese Situation wird zusätzlich durch den tauenden Permafrostboden verschärft. Vor allem im Norden Alaskas geht es um die Ölförderung und die damit zusammenhängenden Gewinne für den multinationalen Ölkonzerne. Somit stellt sich die Frage, wie lange man diese Ziele noch verfolgen kann, bis das fragile Ökosystem kippt und der Permafrostboden taut. Fachleute gehen davon aus, dass der schmelzende Eisboden in Alaska zwischen 22 Milliarden und 432 Milliarden Tonnen Treibhausgase freisetzen wird. Dies lässt sich nicht genau berechnen. Um eine Vorstellung für die Größenordnung zu bekommen, lassen sich die genannten Zahlen in Relation zum weltweiten CO2-Ausstoss setzen. Im Jahr 2021 emittierten alle Länder der Erde 37 Milliarden Tonnen CO2.
Auf diese Brennstoffe haben wir weltweit unsere Wirtschaftssysteme aufgebaut und der Kapitalismus benötigt diese permanente Naturausbeute. Deshalb sitzen wir nun doppelt in der Zwickmühle. Es ist sehr schwer zu vermitteln, dass der Naturreichtum nicht mehr in unserem gewohnten Maße angetastet werden soll. Dies empfinden vielen Menschen als nahezu grotesk. Genauso könnte man einem Menschen vorschreiben, dass er seinen mehr oder weniger großen Reichtum nicht antasten darf. Dies würde bei den meisten Menschen auf Unverständnis stoßen. Und trotzdem müssen wir uns mit dem Sachverhalt auseinandersetzen und die zweite Zwickmühle ebenfalls betrachten. Einerseits basiert das Wirtschaftssystem auf die Förderung und Verbrennung von relativ günstigem Kohlenstoff und andererseits werden Unmengen von schädlichen Treibhausgasen freigesetzt.
Das Verbrennen fossiler Stoffe erhöht die Entropie auf Erden, während der Energievorrat der Sonne unerschöpflich ist. Deshalb erfordert die Klimakatastrophe ein neues und anderes Denken, dass den „fossilistischen Kapitalismus“ (Elmar Altvater) hinter sich lässt und eine konsequente Dekarbonisierung, eingebettet in einer Kreislaufwirtschaft, in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Es reicht nicht aus, in neue Technologien zu investieren. Wir müssen uns auf eine radikale Transformations-Agenda vorbereiten. Ein erster Schritt wäre der sofortige Stopp der Subventionierung fossiler Brennstoffe. Diese Subventionen werden, laut eines Papiers des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2018, auf etwa 600 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Dies ist aber eine sehr vorsichtige Schätzung, denn die Finanzminister der Welt kamen auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank im Jahre 2019 auf einen wesentlich höheren Betrag. Diese Schätzung wurde dann im Jahr 2022 korrigiert. Zitat aus dem IWF-Bericht: „Die Subventionen für fossile Brennstoffe lagen im Jahr 2022 bei sieben Billionen Dollar oder 7,1 Prozent des (Welt-)Bruttoinlandsprodukts.“ Die Hauptverursacher des Klimawandels kassieren also Subventionen, um den Klimawandel zu beschleunigen – ein Skandal ohnegleichen.
Die permanente Desinformation
Damit aber nicht genug. Der Gewinn der fünf größten Erdölproduzenten der Welt, die Unternehmen ExxonMobil (USA), Shell (Großbritannien, früher Niederlande), Chevron (USA), Total (Frankreich) und BP (Großbritannien) betrug im Jahr 2022 zusammen 200 Milliarden Dollar. Es handelt sich hier um den Gewinn und nicht um den Umsatz. Diese atemberaubenden Gewinne ergeben sich seit vielen Jahrzehnten ausschließlich, weil fossile Brennstoffe aus der Natur entnommen und verkauft werden. Die Profiteure des Klimawandels werden nicht nur reicher und mächtiger, zusätzlich werden noch Unmengen an Steuergeldern, in Form von Subventionen, abgegriffen.
Dabei wurden über viele Jahrzehnte von den Unternehmen der fossilen Branche Kampagnen finanziert, um die Tatsachen zum Klimawandel zu verschleiern. Desinformationen wurden verbreitet und erfolgreiche Verzögerungsstrategien etabliert. Mittlerweile wird der Klimawandel zwar als Problem erkannt, aber es bestehen erhebliche Zweifel an den Gegenmaßnahmen. Jede Maßnahme wird von den Unternehmen der fossilen Branche und von sehr vielen Politikern torpediert und mit der Reduzierung des Wohlstandes begründet. »Die wichtigste wissenschaftliche Publikation zum Verständnis dieser mit strategischer Desinformation geführten politischen Debatte über Klimapolitik ist 2020 im Fachjournal „Global Sustainability“ erschienen. Die Publikation, an deren auch Autorinnen und Autoren aus Deutschland beteiligt sind, zerlegt die Verzögerungsdiskurse in vier Kategorien: 1. „Es ist nicht möglich, die Folgen des Klimawandels abzumildern: Kapitulation.“ 2. „Andere sollen zuerst etwas unternehmen: Abwälzen von Verantwortung.“ 3. „Disruptiver Wandel ist unnötig: Forcieren nicht transformativer Lösungen.“ 4. „Die Veränderungen werden tiefgreifend sein: Hervorheben der Kehrseiten.“ In der Debatte des Jahres 2023 rund um das Klima und die Energiepolitik waren fast alle in dem Fachartikel beschriebenen Strategien zu beobachten.“[2] Mangels eigener zielführender Maßnahmen nutzen insbesondere die CDU und die FDP die strategische Desinformation. Besonders beliebt ist die Behauptung, dass Deutschland nur für zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sei („Abwälzen von Verantwortung“). Vergessen wird dabei, dass in Deutschland (83,3 Mill. Einwohner) aber nur ein Prozent der Weltbevölkerung (8,16 Mrd. Einwohner) ansässig sind.
[1] Vgl. Sebastian Castelier, Langer Abschied vom Ölstaat, in; Edition Le Monde diplomatique, Geschröpfter Planet, Berlin, 2023, S. 9.
[2] Christian Stöcker, Einlullen, verschleiern, Zweifel säen, Wie die Fossillobby unsere Zukunft gefährdet, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7`24, Berlin, 2024, S. 82.