Die Allmende und das Lauderdale-Paradox

07. Januar 2025

»Raum für alle hat die Erde, oder sie hätte ihn, wenn sie mit der Macht der Bedarfsdeckung statt mit der Bedarfsdeckung der Macht verwaltet wäre.« (Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung)

Der Anbauboden ist der Teil des Bodens, der zur land-, weide- und forstwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung steht. Er ist begrenzt und für die Nahrungsmittelproduktion unerlässlich. Da er knapp ist, kann die Nahrungsmittelherstellung nicht beliebig gesteigert werden. Landwirtschaftliche Produkte wachsen aber bei einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung nach. Somit kann ein gesunder Boden seine Kräfte selbstständig regenerieren. Mit zunehmender Industrialisierung der Landwirtschaft wird es immer schwieriger die Selbstregenerierungskräfte des Bodens zu erhalten.

Der Anbauboden war zur Zeit der Allmende, also seit dem Mittelalter, ein elementares Produktionsmittel. Dieser Boden wurde nicht als Privateigentum genutzt, sondern wurde von der gesamten Gesellschaft verwaltet. Dieses kommunale Land diente dazu, lebensnotwendige Dinge, wie Brennholz, Früchte, Fische, Pilze und Wildfleisch zu gewinnen. Mit zunehmender kapitalistischer Produktionsweise verschwanden die Allmenden und sie wurden durch Privatbesitz ersetzt.

Tragik der Allmende

In vielen Schul- und Studienbüchern wird diese Substitution als Tragik der Allmende bezeichnet. Sie wird damit begründet, dass einzelne Personen egoistisch sind und eine geteilte Ressource übermäßig nutzen. Dieser angebliche und »natürliche Egoismus« führt dazu, dass die Ressourcen versiegen. Dadurch kann die Ressource für manche oder gar für alle unzugänglich werden. Die Lösung ist der privatwirtschaftliche Markt, der dann »per unsichtbarer Hand« (Adam Smith) Angebot und Nachfrage regelt. Die Richtigkeit dieser Aussagen darf bezweifelt werden. Vielleicht ist ja das Gegenteil richtig – Je mehr Grund und Boden der einzelne Eigentümer besaß, desto schlechter wurde die Lebensqualität der restlichen Menschen in der Kommune.

Das Lauderdale-Paradox

Dieser Widerspruch wurde bereits im 19. Jahrhundert heftig diskutiert. Beispielsweise erschien im Jahr 1804 das Werk des Ökonom Earl of Lauderdale, James Maitland, mit dem Titel »An Inquiry into the Nature and Origin of Public Wealth«. (In der deutschen Fassung: «Ueber National-Wohlstand«) Das Lauderdale-Paradox besagt zusammengefasst: »Nimmt individueller Reichtum zu, nimmt öffentlicher Wohlstand ab«. Öffentlicher Wohlstand ist der Reichtum, der für jeden Menschen da ist, niemand wird von diesem Wohlstand ausgeschlossen. Die vorherrschende neoliberale Wirtschaftspolitik, die durch Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung und Individualisierung geprägt ist, minimiert tendenziell den öffentlichen Wohlstand.  Die genuine Aufgabe des Staates ist, den öffentlichen Wohlstand zu garantieren. Dies kann durch Gesetze, Verordnungen aber auch durch Enteignungen geschehen. Der Markt mit seinen Ausschlusskriterien, Marktzutrittsbeschränkungen und der neoliberalen Ausrichtung ist dafür nicht geeignet. Der öffentliche Wohlstand ist ein Allgemeingut und darf nicht durch die Zunahme des individuellen Reichtums behindert werden. Aber genau dies geschieht schon seit einigen Jahrzehnten. Der individuelle Reichtum nimmt zu und der öffentliche Wohlstand sinkt. Dies ist besonders signifikant auf dem Wohnungsmarkt. Auf diesem Markt sinkt sowohl der öffentliche Wohlstand als auch der öffentliche Wohnstand. Vermögende verdienen sich eine goldene Nase mit der Spekulation von Wohnraum. Die Spekulation treibt die Preise in die Höhe und der Normalbürger muss einen viel zu großen Anteil seines verfügbaren Einkommens für die Miete aufwenden.

Wasser ist für alle da

Im Zusammenhang mit der Allmende ist nicht nur der Boden zu betrachten, sondern auch das Allgemeingut Wasser. Neben der Bodenspekulation ist auch die Spekulation mit Wasser zu reglementieren oder zu verbieten. Auch beim Wasser darf keine künstliche Verknappung stattfinden um die Preise zu treiben. »Dass Wasser beispielsweise im Ãœberfluss vorhanden ist, ist nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig. In diesem Fall ist Wasser auch kostenlos, ein öffentlicher Reichtum also. Könnte man aber irgendwie Wasserknappheit herbeiführen, würde Wasser zu einer Ware mit einem Preis, worauf für jedermann kostenlos verfügbarer öffentlicher Wohlstand verschwände. Durch den Verkauf von Wasser in PET-Flaschen kann man Geld erwirtschaften, was eine Zunahme des individuellen Reichtums mit sich bringt. Dadurch steigt, um Lauderdale zu folgen, dann auch der in Geld messbare »nationale Wohlstand«. Ja, Lauderdales Beitrag kann als direkte Kritik an Adam Smiths Idee gesehen werden, dass »individueller Reichtum« gleich «nationalem Wohlstand« ist.«[1] Die alte Leier der FDP – wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Dieser, von Maggi Thatcher geprägte Spruch der 1980er Jahre, ist schon häufig widerlegt worden.

Leider wird im wirtschaftlichen Schulbetrieb und in der ökonomischen Ausbildung an den Universitäten die Lehre von Adam Smith immer noch positiv konnotiert, obwohl inzwischen bekannt sein dürfte, dass weder „Trickle-down“ noch die „unsichtbare Hand“ funktioniert. Lauderdale entwickelte seine Ideen leider nicht weiter. Dafür griff Karl Marx seine Gedanken auf und konnte den Gegensatz von Gebrauchs- und Tauschwert darstellen. Aber auch Karl Marx spielt leider im ökonomischen Diskurs keine Rolle mehr. Stattdessen beherrschen die Staatsfeinde die Diskussion. In Amerika sind die Staatsfeinde Nr. 1 (Donald Trump, JD Vance und Elon Musk) am Werk und in Deutschland sympathisiert der Ex-Finanzminister Christian Lindner mit Javier Milei und Elon Musk.  


[1] Kohei Saito, Systemsturz, Der Sieg der Natur über den Kapitalismus, München, 2. Auflage, 2023, S. 182.

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