Gewinner und Verlierer der Pandemie

22. November 2020

Marktwirtschaftliche Zuteilungsformen bringen zwangsläufig Gewinner und Verlierer hervor. Für eine Gesellschaft wird es dann problematisch, wenn die Zuteilung ausschließlich über den Markt läuft und suggeriert wird, dass alle Wirtschaftsteilnehmer partizipieren können, wenn sie sich nur anstrengen und bemühen. Dies ist aber nicht möglich, denn ohne Verlierer kann es keine Gewinner geben. Dies war vor Corona (v.C.) so, und auch während der Pandemie hat sich daran nichts geändert. Es steht zu befürchten, dass auch nach Corona (n.C.) keine Änderungen im Allokationsmechanismus zu erwarten sind. Einige Großkonzerne werden die Gewinner der Pandemie sein, während kleinere Betriebe und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr viel verlieren werden.

Italien first

Die Pandemie breitete sich über Italien in Europa aus. Italien hat fast die meisten Corona-Toten in Europa und ist gezwungen staatliche Maßnahmen, wie beispielsweise Ausgangssperren, zu verhängen. Dies führt zwangsläufig zu negativen ökonomischen Folgen. Mit zunehmenden Infektionsgeschehen übertrug sich die italienische Situation sukzessive auf die anderen europäischen Staaten. Jetzt gehen bei den italienischen Gerichten die ersten Konzernklagen ein. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann sich die deutschen Gerichte mit ähnlichen Klagen beschäftigen werden. Diese multinationalen Unternehmen fordern vom italienischen Staat Schadenersatz vor privaten Schiedsgerichten, weil die staatlichen Notfallmaßnahmen übereilt und schlecht koordiniert ausgeführt wurden. Dies verstoße gegen internationale Investitionsabkommen. „Weltweit ermöglichen mehr als 2600 Handels- und Investitionsabkommen[1] ausländischen Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie ihre weitreichenden Rechte in den Verträgen als verletzt ansehen. Dabei können Konzerne schwindelerregend hohe Summen an Schadenersatz für angebliche Investitionseinbußen fordern – infolge von Enteignungen, aber auch quasi jeglicher Art der Regulierung.“[2] Viele Handels- und Investitionsabkommen sehen vor, dass Konzerne auf entgangene und zukünftige Gewinne Klagen können, wenn der Staat beispielsweise Märkte reguliert. Diese staatlichen Regulierungen sind aber zwingend erforderlich, um mit einem blauen Auge aus dieser Pandemie zu kommen.

Genug ist nicht genug

Die ersten Konzerne planen ihre Klagen vor privaten Schiedsgerichten gegen die Corona Maßnahmen des Staates und verschärfen damit den Druck auf die öffentlichen Haushalte. Dies ist für eine Zivilgesellschaft kaum noch aushaltbar, deshalb rufen in einem offenen Brief „mittlerweile mehr als 600 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 90 Ländern ihre Regierungen auf, die Parallelgerichtsbarkeit für Konzerne einzuschränken oder ganz abzuschaffen.“[3] Leider ist die deutsche Bundesregierung und auch der Wirtschaftsminister Peter Altmaier nicht bereit, diese Sonderklagerechte zur Disposition zu stellen und gegebenenfalls zu verbieten. Gerade das exportstarke Deutschland hat knapp 130 rechtskräftige bilaterale Investitionsabkommen geschlossen. Durch diesen inflationären Freihandel lässt sich der deutsche Staat problemlos verklagen, wenn Gesetze nicht zu den Geschäftsmodellen der Konzerne passen. In einer Marktwirtschaft hat niemand Anspruch auf einen Gewinn oder auf eine bestimmte Rendite. Gerade in Corona-Zeiten hat der Staat für den soziale Ausgleich zu sorgen. Dazu gehört selbstverständlich auch ein wirksames Infektionsschutzgesetz. Das Papier „Investor-Staat-Klagen bei Covid-19-Verfahren“[4]  darf nicht dazu führen, dass Investoren auf entgangene zukünftige Gewinne klagen können. Es ist im Investitionsrecht ohnehin schon zweifelhaft, dass gierige Investoren ihre festen Renditezusagen schon vor der getätigten Investition erhalten wollen. Das Risiko der Fehlinvestition wollen viele Unternehmen nicht mehr tragen, sondern praktischerweise auf die Gesellschaft abwälzen. Durch die zunehmende Externalisierung der Kosten wird, nicht nur in Corona-Zeiten, das marktwirtschaftliche System auf den Kopf gestellt.

Es ist offensichtlich – global agierende Anwaltskanzleien nutzen die Corona-Krise, um die ersten Investor-Staat-Klagen vorzubereiten. Deshalb ist es an der Zeit, über private Schiedsgerichte, die die Investoren schützen, zu debattieren. Grundsätzlich muss der neoliberale Freihandel zur Disposition gestellt werden. Im Wesentlichen drückt der Freihandel aus, »dass jede sich irgendwo auf dieser Welt befindende Ressource demjenigen zum Kauf freistehen muss, der das meiste für sie bietet. Mit anderen Worten: Wer immer das Geld hat, um diese Ressource zu kaufen, hat auch einen Rechtsanspruch auf sie. Nach diesen Regeln gehört das Öl Venezuelas ganz genauso den Vereinigten Staaten, als ob es unter dem Boden von Texas oder Missouri läge.«[5]

 [1] Vgl. UNCTAD, International Investment Agreements Navigator, 1.9.2020.

[2] Pia Eberhardt, Klagen ohne Scham: Die Profiteure der Pandemie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 11`20, 2020, S. 29

[3] Pia Eberhardt, Klagen ohne Scham: Die Profiteure der Pandemie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 11`20, 2020, S. 31

[4] Marinn Carlson u.a., Investment Treaty Claims for COVID-19 Losses?, 7.5.2020

[5] Richard Heinberg, Öl – Ende, München, 2008, S. 71

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