»Für das Handeln, das entscheidet, wie es weitergehen soll, sind Tatsachen keineswegs notwendig.« (Hannah Arendt)
Ein kurzer Blick in die deutsche Steuergeschichte zeigt, dass die Unternehmenssteuersenkungen im Jahr 2001 nicht zu einem wirtschaftlichen Aufschwung geführt haben. Stattdessen erfolgte eine fiskalische Haushaltsnotlage verbunden mit steigenden Staatsschulden. Nun versucht der Finanzminister der SPD, Lars Klingbeil, die deutsche Wachstumsschwäche ebenfalls mit Steuersenkungen auszugleichen. Ab dem 01. Juli 2025 können deutsche Unternehmen vom »Investitionsbooster« partizipieren. Bis Ende des Jahres 2027 können die Betriebe ihre Investitionen mit 30 Prozent abschreiben (degressive Abschreibung) und ihre Gewinne und entsprechend ihre Steuerlast reduzieren. Somit werden die Probleme nur »verdeckt« und in die Zukunft geschoben. Wenn heute die Anschaffungskosten schneller abgeschrieben werden können, wird sich dieser Effekt zukünftig umdrehen und es kann dann weniger »Steuersenkungen« beansprucht werden.
Lars Klingbeil verkennt, dass hohe Steuern keinesfalls die Gründe für die Investitionszurückhaltung der deutschen Unternehmen sind. Die Exportwirtschaft leidet unter dem ökonomischen Protektionismus der Trump Administration. Ein weiterer Grund für die »strukturelle Wachstumsschwäche« (Friedrich Merz) ist die Nachfrageschwäche, sowohl im binnen- als auch im außenwirtschaftlichen Bereich. Warum laufen Politiker immer wieder in die gleiche Falle? Warum meint man, dass Steuersenkungen die Investitionstätigkeiten ankurbeln können?
Welche Rolle spielen Steuern für Investitionen?
Nach § 3 Abs.1 der Abgabenordnung haben alle Steuerpflichtigen eine Gemeinsamkeit – durch Steuerzahlungen kann der steuerpflichtige Bürger keine konkrete Gegenleistung vom Staat erwarten. Außerdem vermindern Steuerzahlungen grundsätzlich für alle Bürgerinnen und Bürger und auch für alle Unternehmen den finanziellen Transaktionsrahmen. Dieser Abfluss von liquiden Mitteln kann für Unternehmen zur Folge haben, dass sich das Investitionspotenzial schmälern kann. Dies trifft aber nicht für alle Unternehmen gleichermaßen zu, weil vielfältige Anpassungs- und Ausweichhandlungen möglich sind. Unternehmen, die Verluste ausweisen, zahlen in Deutschland keine Steuern. Im Gegenteil, sie können vom Verlustvortrag oder auch vom Verlustrücktrag (§ 10d EStG.) partizipieren. Außerdem können, falls sich die Steuer erhöht, diese auf die Preise überwälzt werden oder durch zulässige Sachverhaltsgestaltungen wird die Steuer umgangen oder vermindert.
Investitionen sind für Unternehmen grundsätzlich nur dann vorteilhaft, wenn der Gewinn erhöht und die Kapitalakkumulation in Gang gesetzt wird. Dass Investitionen auch nach der Maßgabe des gesellschaftlichen Nutzens zu beurteilen sind, ist den meisten Betriebswirten vollkommen fremd. Stattdessen wird eine gängige Formel der 1970-er Jahre gebetsmühlenartig wiederholt: »Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.« Diese Formel ist längst obsolet, weil die Investitionsrechenverfahren der Betriebswirtschaftslehre nur zukünftige Gewinnerwartungen modellieren können und keineswegs die Effekte auf dem Arbeitsmarkt. Das Kapital investiert grundsätzlich nur dann in Arbeitsplätze, wenn es sich lohnt.
Häufig ist zu lesen, dass nicht nur insolvenzbedrohte Unternehmen Entlassungen planen, sondern auch gewinnträchtige. Beispielsweise hat der Autohersteller VW noch im Sommer 2024 eine Summe in Höhe von 4,5 Milliarden Euro an die Aktionäre ausgeschüttet. Der katarische Staatsfonds, der Porsche-Piech-Clan und weitere Großaktionäre werden sich über diesen leistungslosen Geldsegen gefreut haben. Mit diesem operativen Gewinn nahm VW weltweit im Ranking der Industrieunternehmen einen Spitzenplatz ein. Jetzt könnte man meinen, dass es dieser Unternehmung sehr gut geht. Doch einige Monate später verkündete VW dann einschneidende Kürzungen in Form von Massenentlassungen und Werkschließungen. Mit den Gründen[1] werde ich mich an dieser Stelle nicht beschäftigen. Es muss aber angemerkt werden, dass die zu erwartenden Kürzungen in etwa 4,5 Milliarden Euro betragen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die oben beschriebene Formel lässt sich somit auch umdeuten: »Die Gewinne von heute sind die Arbeitslosen von morgen.«[2] Deshalb müssen Strategien entwickelt werden, wie Arbeit zukünftig gesellschaftlich zu organisieren ist, unter Berücksichtigung der strukturellen Ursachen von Armut und Ungleichheit. Für eine Unternehmung ist es aber wesentlich interessanter, die Risiken einer Investition zu modellieren und Subventionen oder Steuersparmodelle zu durchleuchten als die Beschäftigungswirkung zu untersuchen.
Das bedeutet, dass Steuern in der Planung von Investitionsvorhaben nur eine untergeordnete Rolle spielen. Nebenbei bemerkt: natürlich müsste eine Investition aus betriebswirtschaftlicher Sicht abgelehnt werden, wenn der Gewinn aus dem Investitionsobjekt unter Einbezug von Steuern negativ wird. Dies ist unstrittig. Es wird aber häufig behauptet, dass Steuersenkungen zu höheren Investitionen, und damit auch zu neuen Arbeitsplätzen führen. Diese Behauptung ist offensichtlich nicht verifizierbar. Somit ist es kein Naturgesetz, dass Steuersenkungen für Unternehmen zu einer höheren Investitionsquote führen. Dies ist unsicher und lässt sich weder wissenschaftlich noch aus der vergangenen politischen Praxis belegen. Sicher ist hingegen, dass der »Investitionsbooster« von Lars Klingenbeil dem deutschen Staat Steuerausfälle im zweistelligen Milliardenbereich beschert.
Der Mythos der Laffer-Kurve ist scheinbar unzerstörbar
Neoliberale Ökonomen, und auch unser Bundeskanzler, Friedrich Merz, begründen niedrige Steuern mit der Laffer-Kurve. Die Irrlehre, dass Steuern der Wirtschaft schaden, weil sie die Leistungsbereitschaft reduzieren und damit Arbeitsplätze und Wachstum schwächen, lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen.
Auch der weitverbreitete Mythos, dass Steuersenkungen sich selbst finanzieren, wurde seit den 1970-er Jahren mit der Laffer-Kurve popularisiert. Der US-Ökonom Arthur B. Laffer behauptete, dass sich das Steueraufkommen trotz einer Senkung der Steuersätze erhöht. Durch die sogenannte Laffer-Kurve wird die Abhängigkeit des Steueraufkommens von der Höhe des Steuersatzes dargestellt. Diese Interdependenz führt zu einer nach unten geöffneten Parabel, deshalb wird angenommen, dass jedes gewinnabhängige Steueraufkommen durch zwei Steuersätze erzielt werden kann. Diese finanzwissenschaftliche Hypothese unterstellt, dass die Steuereinnahmen mit steigendem Steuersatz erst steigen, dann nach Erreichen eines Maximums wieder sinken, also die Form eines umgekehrten »U« annehmen.
Die Kernaussage lautet, dass ein niedriger Steuersatz, der auf hohe Gewinne der Unternehmen zur Anwendung kommt, dem Staat genauso viel Einnahmen wie ein hoher Steuersatz aus geringen Gewinnen beschert. Eine mutige, aber wissenschaftlich nicht verifizierte Hypothese. Welche Annahmen unterstellt Laffer?
Der hohe Steuersatz führt zu negativen Leistungsanreizen und dieser Sachverhalt führt dann zu geringeren Unternehmensgewinnen. Daraus resultieren, nach Laffers Auffassung, Steuerwiderstände und der Steuertarif wirkt leistungsmindernd. Nur die Senkung des Einkommensteuersatzes wird zu einer Erhöhung des Steueraufkommens führen. Es gibt inzwischen jede Menge Studien, die die Wirkungen der unterschiedlichen Steuerreformen der letzten Jahrzehnte untersucht haben. Da sich sowohl steigende wie auch fallende Steuereinnahmen mit der gleichen Theorie erklären lassen, wird die Laffer-Kurve wegen mangelnder Falsifizierbarkeit kritisiert.
Die Steuerreform im Jahr 2017 durch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump hat doch sehr eindrücklich gezeigt, dass die Laffer-Kurve nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch nicht haltbar ist. Trotzdem schreckt der US-Präsident nicht davor zurück, diesen Fehler im Jahr 2025 wieder zu begehen.
[1] Meiner Meinung nach handelt es sich um komplettes Managementversagen. Das lange Festhalten an einem Geschäftsmodell namens Verbrennermotor und die Produktion von sehr teureren E-Autos der Premiumklasse sind verantwortlich für die Schieflage bei VW. Die Schuld liegt bei den Eigentümern und beim Top Management und nicht bei den Beschäftigten.
[2] Von Groucho Marx stammt der Spruch:“ Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn Sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.“ Dies trifft in weiten Teilen auch für die Betriebswirtschaftslehre zu, weil die kapitalistische Produktions- und Distributionsweise sehr dynamisch und anpassungsfähig ist. Deshalb werden feste Prinzipien auch mal umgedeutet, wenn daraus ein Vorteil erwächst oder bis sie an den Notwendigkeiten der Realität zerbrechen.