Die unrealistischen Utopisten fliegen zum Mars

06. April 2021

 „Universal sind Ahnung und Angst, Naturbeherrschung webe durch ihren Fortschritt immer mehr mit an dem Unheil, vor dem sie behüten wollte[.]“

(Theodor W. Adorno)

 Bedingt durch die Corona-Pandemie bricht die globale Wirtschaft sukzessive zusammen und es wird deutlich, dass wir nicht nur in einer Zeit der Krise leben, sondern das Katastrophenzeitalter scheint vor der Tür zu stehen. Das Risiko des Zusammenbruchs von ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Systemen rückt näher. Nicht nur die bekannten Kipppunkte aus der Klimadebatte kommen näher, sondern es gibt in vielen Bereichen Entwicklungen, die nicht mehr umkehrbar sind.

Bereits 1986 hat der Soziologe Ulrich Beck in seinem Buch zur „Risikogesellschaft“ beschrieben, dass „in der fortgeschrittenen Moderne die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einhergeht mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken“. Risiko lässt sich nicht einfach als Gefährdung definieren, sondern der Begriff muss sämtliche gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Prozesse integrieren. Neben externen Gefährdungen einerseits ist die gesellschaftliche Verwundbarkeit (Vulnerabilität)[1] bzw. die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) andererseits zu berücksichtigen. In den 1980er-Jahren wurden die Warner vor den Risiken der Umweltkatastrophe und die „Tipping-Point“-Aufklärer als Utopisten oder als Spinner bezeichnet. „[Heute] scheint [die Utopie] die Seiten gewechselt zu haben: Es sind die Utopisten des Bestehenden, die glauben, dass alles so weitergehen kann, während die Realisten des Kollapses ihre Energien dafür verwenden, die Welt nach ihrem Zusammenbruch neu zu denken.“[2]

Geology of  Mankind

Und was machen diese unrealistischen Utopisten wie Google und Co. – sie fliegen zum Mars. Sind das die neuen Zukunftsvorstellungen? Die bekannten Protagonisten (Google, Elon Musk, Peter Thiel usw.) treiben ihre technokratischen Fantasien voran und wollen den Weltraum erobern und kommerzialisieren. Sie träumen von unabhängigen Staaten von Superreichen auf künstlichen Inseln und davon, der Erde zukünftig den Rücken zu kehren. Spinnerei, gewiss – aber die meinen es tatsächlich ernst. Sie behaupten, dass es zum Kapitalismus, der Naturausbeutung und der globalen Konkurrenz keine Alternative gibt. Mit solchen Aussagen schränkt man den demokratischen Entscheidungsspielraum massiv ein und ein neues Denken wird unmöglich. Das Denken der fortschrittlichen Silicon-Valley-Kapitalisten ist hingegen keinesfalls neu, sondern, wenn man sich auf die Ökonomie kapriziert, veraltet. Neu ist hingegen, dass Akteure des Silicon Valley, beispielsweise der Google Chefentwickler Ray Kurzweil, davon träumen, „den biologischen Menschen abzuschaffen und sein Bewusstsein in ein Netz von Daten „upzuloaden“. Dieser „Transhumanismus“ ist weit verbreitet unter den Entwicklern künstlicher Intelligenz.“[3]

Deshalb ist es umso wichtiger, sich an den Nobelpreisträger für Chemie, Paul J. Crutzen, zu erinnern, der im Jahre 1995 für die Entschlüsselung des stratosphärischen Ozonabbaus den Preis erhielt. Er war langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und ein Vordenker der Erdsystemforschung. „Crutzen beschrieb dieses Phänomen als Geologie der Menschheit -Geology of Mankind.[4] Anthropozän  – das ist keine modische Begriffsänderung, sondern eine Mahnung von enormer Tragweite. Der Begriff besagt: Naturverhältnisse sind heute immer auch „Herrschafts“-verhältnisse.“[5]

Die Macht der Silicon-Valley-Kapitalisten  ist ungebrochen und die Möglichkeit in den Weltraum zu fliegen sind da, also muss es auch ausprobiert werden. Scheinbar halten Elon Musk und Co. es nicht aus, so ein schönes Spielzeug wie den Roboter „Perseverance“ zu haben und es nicht ausprobieren zu dürfen. Infantil – gewiss. Dieser Infantilismus ist aber gefährlich, weil er mit Herrschaftsverhältnissen verbunden ist. Die ungeheure Macht von Elon Musk und den digitalen GAFA-Unternehmen erinnert an William Shakespeare (1564-1616), der in der Tragödie „König Lear“ formulierte: „Das ist die Seuche unserer Zeit – Verrückte führen Blinde.“

Die Entdeckung des Mars

 Seit Urzeiten fragt sich die Menschheit, ob es Leben auf dem Mars gibt. Seit 50 Jahren versucht die NASA diese Frage zu beantworten. Mehr als 30 Sonden haben in der Vergangenheit Daten vom Mars auf die Erde übertragen und die Antwort ist immer gleich: Auf dem Mars ist keine Spur von Leben nachweisbar. Nun ist der Roboter „Perseverance“ auf dem Mars und sendet uns Bilder von Geröll und Steinen.

Sowohl die NASA als auch die Silicon-Valley-Wissenschaftler werden häufig als Visionäre bezeichnet. Dabei sind Elon Musk und Co. nur gefährliche Träumer, die von Mars-Kolonien für ihresgleichen träumen und sich eine Umsiedelung auf den Mars wünschen. Nun sind wir aber nicht im Kindergarten oder bei Wünsch Dir was, sondern auf der Erde, und die hat, bedingt durch die anthropogenen ökologischen und ökonomischen Systeme, ganz andere Probleme. Warum wird das Geld nicht dafür verwandt, die unzähligen Baustellen der Erde zu beseitigen. Geröll, Steine und Wüsten gibt es auch auf der Erde und für die Erforschung und den Schutz des irdischen Kulturbodens  ist das Geld sinnvoller angelegt. Dies wird aber ein Technokrat wie Elon Musk nicht verstehen, denn es gilt noch immer: „Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, das er es nicht versteht“(Upton Sinclair), und Herr Musk hat nur ein Ziel, er will natürlich seine Rendite und seine Macht erhöhen. Außerdem ist er an den Schutz des Kulturbodens nicht interessiert, im Gegenteil – Elon Musk beutet nach wie vor die Atacama-Wüste in Südamerika aus, um Lithium  für seine Batterien zu fördern.

Es ist keine gute Idee, den Weltraum zu erkunden und die irdischen Probleme nicht zu lösen, denn Wachstum in der Zeit und Expansion im Raum lassen sich nicht unendlich fortsetzen. Der Homo sapiens muss nicht von den Fesseln der Biologie gelöst werden und die Aussicht auf Unsterblichkeit ist kein anzustrebendes Ziel. Solche Bestrebungen führen nur dazu, dass unser Planet, der bestmögliche im gesamten Universum, noch weiter zerstört wird. „Die Menschheit gleicht einem Verrückten, der weiß, dass sein Keller brennt und dass die Flammen sich immer schneller nach oben ausbreiten. Umso fiebriger baut er seinen Dachstuhl aus, um dem Himmel näher zu kommen. Warum hält er nicht inne, um zu löschen?“[6] Sollte am Ende Karl Marx recht behalten, wenn er den Glaube an den Himmel als Opiat beschreibt, das davon ablenkt, die irdischen Probleme zu lösen.[7]

[1] Die Vulnerabilität ist in letzter Zeit mit dem Corona-Virus in Verbindung gebracht worden. Häufig wurden ältere Menschen damit gemeint. Das Alter der Menschen spielt indes bei der Übertragung des Virus nur eine sekundäre Rolle. Deswegen finde ich es ärgerlich, wenn Politikerinnen und Politiker von Vulnerabilität sprechen und damit ausschließlich ältere Menschen meinen. Somit wird, beabsichtigt oder nicht, suggeriert, dass die Vulnerabilität nicht auf junge Menschen zutrifft. Vulnerabilität ist derjenige Grad, bei dem ein von einem externen Stressor, in diesem Fall das Corona-Virus, affiziertes System anfällig wird für Schäden. Der Begriff stammt von lateinischen Wort vulnerabilis und er wurde von den Römern verwendet, um den gesundheitlichen Zustand eines Soldaten zu beschreiben, der verwundet auf dem Schlachtfeld liegt. Es ist indes abenteuerlich, die Vulnerabilität ausschließlich auf das Alter zu beziehen und zu unterstellen, dass junge Menschen nicht vulnerabel (siehe Allergien, Bluthochdruck, Fettleibigkeit usw.) sein können.

[2] Sighard Neckel, Im Angesicht der Katastrophe, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2`21, Berlin, 2021, S. 55.

[3] Fabian Scheidler, Die große Trennung, Die Geburt der technokratischen Weltsicht und die planetarische Krise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4`21, Berlin, 2021, S. 51.

[4] Paul J, Crutzen, Geology of Mankind, in: “Nature“, 23/2002.

[5] Michael Müller, Das Anthropozän oder: Wie wir die Erde verkonsumieren, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3`21, Berlin, 2021, S. 107.

[6] Richard David Precht, Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens, München, 2020, S.13.

[7] Die Aussage, dass Religion „das Opium des Volkes“ sei, stammt von Karl Marx. Diese Aussage wird sehr häufig verfälscht und in der Version Religion ist Opium für das Volk benutzt. Dies hat Karl Marx aber nie so formuliert und auch nicht so gemeint.

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