Karl Marx erklärt den Mehrwert als Differenz zwischen dem Wert, den eine Arbeiterin oder ein Arbeiter in einem bestimmten Zeitraum (Tag, Monat, Jahr) schafft und dem Wert der Arbeitskraft, die als Lohn ausgezahlt werden. Dieser Mehrwert wird durch die Mehrwertrate (m/v) ausgedrückt. Das Kürzel m steht für Mehrwert und v drückt das variable Kapital aus. Marx versteht v als den Teil des Kapitals, den ein Unternehmer für die Arbeitskraft (ausgedrückt in Löhnen) vorschießt.[1] Die Mehrwertrate ist somit ein Indikator für den Mehrwert, den eine Arbeitskraft erzeugt.
Die zweitrangige Mehrwertschöpfung
Der Unternehmer interessiert sich aber nur zweitrangig für diese Mehrwertrate, denn „die Profitrate ist die treibende Macht in der kapitalistischen Produktion, und es wird nur produziert, was und soweit es mit Profit produziert werden kann. Daher die Angst der englischen Ökonomen über die Abnahme der Profitrate.“[2]
Somit stellen sich zwei Fragen: Wie definiert Marx die Profitrate und warum nimmt sie tendenziell ab?
Die Profitrate[3] beschreibt das Verhältnis m/(c+v); m steht weiterhin für den Mehrwert, v für das variable Kapital (Löhne) und c drückt das konstante Kapital[4] (Produktionsmittel) aus.
Für den Investor spielt das Verhältnis von c zu v kaum eine Rolle, weil er sich ausschließlich für die Profitrate interessiert. Es ist ihm vollkommen gleichgültig, ob sein Reichtum in einer sauberen, automatisierten und computergesteuerten Fabrik entsteht oder im Lithiumabbau in Chile, wo die Arbeiterinnen und Arbeiter unter menschunwürdigen Bedingungen mit einfachen Werkzeugen und Maschinen die umweltschädigende Förderung betreiben. Hauptsache die Profitrate ist maximal. In den Medien spricht man auch lieber von der Mehrwertschöpfung als von der Profitschöpfung.
Im Gegensatz zur Profitrate drückt die Mehrwertrate die tatsächliche Mehrwertschöpfung aus. Die Profitrate suggeriert hingegen, dass sich das Kapital von sich aus vermehrt. Somit wird die Rolle der Arbeitskraft in der Wertschöpfung unsichtbar und die Unternehmen können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend als „lästige Kostenfaktoren“ begreifen, die die Mehrwertrate zwar erhöhen, aber die Profitrate möglicherweise reduzieren. „Kein Kapitalist wendet eine neue Produktionsweise, sie mag noch soviel produktiver sein oder um noch soviel die Rate des Mehrwerts vermehren, freiwillig an, sobald sie die Profitrate vermindert.“[5]
Warum vermindert sich nun tendenziell die Profitrate?
Wettbewerb und Konkurrenz
„Andrerseits bringt der mit der Akkumulation verbundne Fall der Profitrate notwendig einen Konkurrenzkampf hervor. Die Kompensation des Falls der Profitrate durch die steigende Masse des Profits gilt nur für das Gesamtkapital der Gesellschaft und für die großen, fertig eingerichteten Kapitalisten. Das neue, selbständig fungierende Zusatzkapital findet keine solche Ersatzbedingungen vor, es muß sie sich erst erringen, und so ruft der Fall der Profitrate den Konkurrenzkampf unter den Kapitalen hervor, nicht umgekehrt.“[6]
Sehr vereinfacht könnte man diesen Prozess in eine volkswirtschaftliche Kausalkette übersetzten. In einem wettbewerbsorientierten Wirtschaftssystem fallen logischerweise die Profitraten der Unternehmen. Warum ist das so? Beispielsweise hat ein Unternehmen durch eine kluge Unternehmenspolitik Wettbewerbsvorteile, weil diese Unternehmung ein neues Produkt erfunden hat. Aufgrund der mangelnden Konkurrenzsituation ist die Gewinnspanne relativ hoch, diesen Mehrgewinn wird diese Unternehmung natürlich vereinnahmen. Angelockt durch die hohen Gewinnerwartungen kommen weitere Unternehmungen auf den Markt, weil sie ebenfalls einen Profit erzielen möchten. Durch die Wettbewerbssituation fallen logischerweise die Preise, die Konsumenten freuen sich und die Produzenten müssen Gewinneinschränkungen hinnehmen. Einige kleinere Unternehmen können die niedrigen Preise nicht mehr halten, entlassen Arbeitskräfte und verschwinden vom Markt. Der Markt dünnt sich immer stärker aus, im Zweifelsfall bleibt nur noch ein Unternehmen übrig. Das hat dann die absolute Marktmacht und kann sie auch negativ gegenüber der Gesellschaft ausüben. Der Markt hat an dieser Stelle seine wesentlichen Eigenschaften verloren: Wettbewerb und Konkurrenz. Unternehmenskonzentrationen sind mit einer Marktwirtschaft nicht vereinbar. In vielen wirtschaftlichen Bereichen sind diese Konzentrationen mittlerweile von den Kartellbehörden und den Parlamenten weder kontrollier- noch beherrschbar.
[1] In der Betriebswirtschaftslehre werden die Arbeitslöhne als variable Kosten bezeichnet; also Kosten, die von der Ausbringungsmenge abhängig sind.
[2] Marx Engels Werke, MEW Band 25, S. 269.
[3] Heute spricht man eher von Rendite oder Rentabilität.
[4] Anstatt vom konstanten Kapital könnte man auch von fixen Kosten sprechen, die sich ergeben, wenn die Produktionsmittel abgeschrieben werden und somit als Kostenbestandteile in der betriebswirtschaftlichen Buchführung erscheinen.
[5] Marx Engels Werke, MEW Band 25, S. 275.
[6] Marx Engels Werke, MEW Band 25, S. 266/267.