„Wollen wir eine Politik, die vorhandenes Bewusstsein spiegelt, oder wollen wir durch politisches Handeln Bewusstseinsveränderungen vorantreiben?“
In Gedenken an Erhard Eppler (Ende oder Wende, München, 1976, S.76)
 Die zweifelhaften neoliberalen Forderungen nach Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung der Märkte werden mit dem Begriff der Freiheit in Verbindung gebracht. Bloß, was ist das – Freiheit? Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel formulierte: „Das Belieben des Einzelnen ist eben nicht Freiheit.“ Bezeichnenderweise fällt der 250. Geburtstag Hegels in die Zeit der Corona-Pandemie und genau in dieser Zeit wird im Namen der Freiheit Vieles gefordert. Es wird darüber diskutiert und es wird auch beklagt, dass Freiheitsrechte aufgehoben oder gar verschärft werden. Letztendlich hat sich aber eine Haltung durchgesetzt, die sich, ebenfalls mit Hegel gesprochen, als „Einsicht in die Notwendigkeit“ bezeichnen lässt. Notwendig war diese Haltung, weil die Übertragung des Coronavirus nach unabänderlichen Naturgesetzen erfolgt. Aber wie verhält es sich mit den abänderlichen Freiheitsrechten? Kann es eine sogenannte Willkürfreiheit geben? Ich meine nein, weil Menschen soziale Wesen sind und sich in der Gemeinschaft wohl fühlen. Die einzelnen Mitglieder einer freiheitlichen Gesellschaft achten aufeinander. Auch Hegel verabscheute einen Begriff von Freiheit, nach dem man frei ist, wenn man machen kann, was man will. Hegel bezeichnete solch eine Freiheit als Willkür. In gut gestalteten, ökologisch ausgerichteten Arbeits- und Sozialstrukturen als voll anerkannter Mensch leben zu können, das ist die wirkliche Freiheit. Von Corona-Gegnern hörte man zuweilen, dass der Staat keine Freiheit ermöglicht. Diese Sichtweise hörte man nicht nur in rechten Kreisen, auch der Neoliberalismus möchte tendenziell uneingeschränkte Willkür erlauben. Dies hat weder mit dem Freiheitsbegriff Hegelscher Prägung noch mit der demokratischen Auffassung von Freiheit zu tun. Es ist eben keine Freiheit, mit 200 km/h über die Autobahn zu „brettern“. Der CDU Fraktionschef Brinkhaus machte deutlich, dass „jeder einen Anspruch auf ein Nackensteak“ habe. Auch hier wird der Freiheitsbegriff konterkariert. Es ist es keine Freiheit, soviel Fleisch zu essen, wie man möchte.
Freiheit ist kein Egotrip
Freiheit ist also kein Egotrip und sie kann auch nicht über den Individualismus definiert werden. Eine positive Bestimmung des Begriffs „Freiheit“ ist ebenfalls problematisch, wenn man sich nicht in Phrasen und Wertungen verstricken möchte. Sinnvollerweise sollte der Begriff negativ bestimmt werden, indem eine Analyse der bestehenden Handlungsbeschränkungen vorgenommen wird. Wir sind nicht als freie Subjekte in der Welt, sondern wir bewegen uns immer in einem Netz des Lebens. Liebesbeziehungen, Freundschaften und Familien sind Bindungen, die für das Leben sehr entscheidend sind. Sämtliche Bindungen hingegen beschneiden die Freiheit und das ist auch gut so. Ohne Für-, Vor- und Mitsorge gäbe es uns Menschen nicht, wir wären schon im Neandertal verhungert und erfroren. Wir leben allesamt mit- und füreinander, und zwar von der Wiege bis zur Bahre.
Natürlich gehört die Freiheit zum guten Leben. Hannah Arendt hat diesen Sachverhalt in ihrem Buch vita activa so vortrefflich beschrieben. Glück und ein gutes Leben sind keine Privatangelegenheiten, sondern es geht immer um die gesellschaftliche Teilhabe und das gemeinsame Handeln unter Gleichen. Egoismus, Konkurrenz, Wettbewerb und Eigennutz haben hier keinen Platz. Insofern kann nicht jeder tun, was er will. Dies hat uns die Corona-Krise sehr deutlich gemacht. Das Corona-Virus, und auch andere Viren, werden uns noch sehr lange begleiten, deshalb meine ich, dass wir uns von der Konsumgesellschaft, die häufig nur aus Spaß, Spiel und Vergnügen besteht, tendenziell verabschieden müssen. Um dem Klimawandel wirksam zu begegnen, werden wir wohl verzichten müssen. Verzicht heißt aber nicht, Lebensqualität einzubüßen. Im Gegenteil, gerade in den Corona-Zeiten haben wir erfahren, wie wunderbar die kleinen Dinge des Lebens sein können. Während frühere Generationen den Stillstand und den Müßiggang als Bereicherung des Lebens angesehen haben, erzeugt heute der Stillstand gewaltige Krisen. Sie ist sofort da, wenn die Bewegung des Kapitals angehalten wird. „Stillstand, das ist in der kapitalistischen Produktionsweise daher die Krise, und diese ist wegen des „dialektischen Gesamtzusammenhangs“ eine Krise von Ökonomie, Gesellschaft, Politik und Natur im umfassendsten Sinn.“ [1] In der Corona-Zeit werden und wurden ökonomische, politische und gesellschaftliche Krisen sehr deutlich. Erfreulich ist, dass trotzdem viele Menschen den Stillstand genießen konnten und der Konsum wurde kaum vermisst.
Ökonomisch hat uns Corona eine doppelte Krise beschert. Schon in der „Vor-Corona – Zeit“ ist die globalkapitalistische Produktionsweise an ihre ökologischen Grenzen gestoßen. Die Corona-Krise hat diesen Sachverhalt, wie ein Brennglas, deutlich gemacht. Außerdem rückte die Corona-Krise das westliche Konsummodell in die öffentliche Diskussion. Der Konsum lässt sich in zweierlei Hinsicht kritisieren. „Heute, so die perverse Logik, arbeiten wir nicht primär, um zu konsumieren, sondern wir konsumieren, um weiter arbeiten zu dürfen – um nämlich durch unseren Konsum den globalisierten Kapitalismus am Laufen zu halten und damit auch unseren eigenen Arbeitsplatz zu garantieren.“[i] Andererseits infantilisiert das westliche Konsummodell die Gesellschaft zunehmend. Durch Corona wurde die Spiel- und Spaßgesellschaft in Frage gestellt. Viele Bürgerinnen und Bürger lehnen momentan Großveranstaltung, aber auch private Feiern, ab. Die zunehmende Infantilisierung der Gesellschaft wurde als unangenehm und nervig empfunden, schließlich sind wir doch keine Kleinkinder, die nach der Flasche schreien. Die Konsumgüterindustrie möchte uns in diese Rolle drängen. Im Namen der Freiheit wurde und wird sogar die Maskenpflicht mit dem Konsumargument in Verbindung gebracht.
Konsumverzicht gleich Freiheitsverzicht?
Im Gegensatz zur traditionellen Mikroökonomie war Mohandas (Mahatma) Gandhi (1869-1948) der Auffassung, dass die Ressourcen der Erde nicht knapp sind. Um den Bedarf der menschlichen Gesellschaft zu befriedigen, sind ausreichend Ressourcen vorhanden. Das Denken von Gandhi wird durch ein bekanntes Zitat zusammengefasst: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ Gandhi weist darauf hin, dass nicht alle Bedürfnisse gleichermaßen wichtig sind und auch nicht befriedigt werden können. Konsumrechte sind weder Menschen- noch Freiheitsrechte. Konsumrechte lassen sich beschneiden und Verzichtsdebatten gehören in den ökonomischen Diskurs. Menschenrechte sind nicht verhandelbar, Konsumrechte hingegen müssen diskutiert werden. Denn „wie kann man nur die sozialen Grundrechte auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit auf demselben Niveau behandeln wie den Konsumanspruch auf SUV`s, Immobilien und Aktien?“[ii] Außerdem werden wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, wenn das Konsumverhalten des globalen Nordens das Maß aller Dinge bleibt. Während Gandhi die Gier geißelte, wurde in der Corona-Zeit die Maskenpflicht in Frage gestellt, weil die Maske von einem Konsumforscher sogar als „Gierbremse“[iii] tituliert wurde.
Fazit
Die Corona-Krise zeigt uns sehr deutlich, dass die Konsumgesellschaft des Nordens langfristig keinen Bestand haben wird. Konsumfreiheit hat mit dem Hegelschen Freiheitsbegriff nichts gemein. Hegel feiert dieses Jahr seinen 250. Geburtstag und der amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith entdeckte in den 50-er Jahren schon den ökonomischen Wechsel zur Gier: Von einer Wirtschaft, die der Bedarfsdeckung diente, zu einer Wirtschaft, die aus der Bedarfsweckung ihre Gewinne erzeugte. Wenn die ganze Welt den Konsumstandard der westlichen Welt übernehmen würde, wäre der Planet restlos überfordert und die Klimakatastrophe erledigt dann den Rest.
[1] Elmar Altvater, Engels neu entdecken, Hamburg, 2015, S. 66
[i] Albrecht von Lucke, Die Wende zum Weniger: Corona und das Konsumdilemma, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/20, Berlin, 2020, S. 6
[ii] Wolfgang Sachs, Die Ära der Entwicklung: Das Ende eines Mythos, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/20, Berlin, 2020, S.87
[iii] Johannes Pennekamp und Julia Lohr, Darf es ein bisschen weniger Konsum sein?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.07.2020