„Es ist einfacher ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil.“
 Gordon Allport
  Jetzt ist es wieder da – das PISA-Gespenst. Wie Anfang Dezember 2019 durch die OECD festgestellt wurde, sind deutsche Schülerinnen und Schüler nur Mittelmaß. Die Lese-, Schreib – und Rechenkompetenz wurde getestet und die erteilten Noten sind nicht zufriedenstellend. Bildungsexperten sind ratlos, dabei ist die Lösung relativ einfach: kleinere Klassen, mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen und größere Investitionen vornehmen.
Außerdem hob die PISA-Studie hervor, dass in Deutschland die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft im OECD-Vergleich überdurchschnittlich hoch ist. Fast zeitgleich stellte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung am 05.12.2019 fest, dass in Deutschland das Armutsrisiko hoch bleibt, obwohl die Arbeitslosigkeit abgenommen hat. Neben diesen sozialen Problemen, in einen der reichsten Länder der Erde, ist ein anderer Sachverhalt ebenfalls besorgniserregend – das Demokratieverständnis.
Demokratie muss immer und überall gelernt werden
 Es gibt Bundesländer, in denen ist die politische Bildung noch nicht einmal ein verpflichtendes Schulfach. Häufig werden Hauptfächer gestärkt und das Fach Politik bleibt auf der Strecke. Die Kultusministerin in NRW, Yvonne Gebauer (FDP), unternimmt sogar den Versuch, die politische durch die ökonomische Bildung zu ersetzen. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat zum Schuljahr 2018/2019 das Fach „Politik/ Wirtschaft“ unbenannt in „Wirtschaft/Politik“. Dies ist insofern besorgniserregend, weil die Volkswirtschaftslehre eine sehr theoretische Disziplin ist, die praxisferne Modelle zugrunde legt. Die Betriebswirtschaftslehre ist zwar besser geeignet, sie ist aber mit der Lebenswirklichkeit der jüngeren Schülerinnen und Schüler schwer zu verbinden. Das Fach Politik lässt sich aber mit ökonomischen Sachverhalten verknüpfen, insofern kann das Ziel dieses Faches, nämlich demokratische Bürgerinnen und Bürger hervorzubringen, besser erreicht werden. Dies ist besonders in der heutigen Zeit wichtig, deshalb darf eine Stärkung des Faches Wirtschaft nicht die politische Bildung belasten.
Außerdem ist es nicht ausreichend, wenn die Demokratie im Fach Politik als Staatsform erläutert wird um anschließend darüber eine Klausur zu schreiben. Demokratie ist nicht nur ein Inhalt aus einem Stoffplan, der abgearbeitet werden muss, sondern eine allumfassende Lebensform, die nicht nur im Schulleben umfänglich praktiziert werden muss. Die Stabilität einer Demokratie hängt im Wesentlich davon ab, in welchem Ausmaß der politisch gebildete Bürger bereit ist, Zeit und Kraft für das Gemeinwesen zu opfern um sich verantwortungsbewusst um das gesellschaftliche Leben zu kümmern. Dies impliziert die Fähigkeit, die individuelle Lebenswelt und den Egoismus hintenanzustellen. Demokratie bekommt man nicht geschenkt, sie muss permanent erkämpft werden.
Der Beutelsbacher Konsensus
 Im Schulalltag hört man zunehmend antidemokratische, intolerante und manchmal auch rassistische Äußerungen von Schülerinnen und Schüler. Diese Äußerungen kommen meistens nicht aus einer tiefen inneren Überzeugung heraus, sondern sie kommen aus dem gesellschaftlichen Mainstream des – „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Häufig sind solche antidemokratischen Äußerungen unreflektiert und „einfach so dahingesagt“, trotzdem sollten Lehrerinnen und Lehrer dies nicht unkommentiert lassen. Um dem zu begegnen, ist es erforderlich, dass sich Lehrerinnen und Lehrer mit dem Beutelsbacher Konsensus von 1976 befassen, „der neben dem Schülerorientierungsgebot das Überwältigungs-/Indoktrinationsverbot sowie das Kontroversitätsgebot umfasst.“[1] Das bedeutet nicht, dass Lehrerinnen und Lehrer zur Neutralität oder Toleranz demokratiefeindlicher „Sprüche‘“ verpflichtet sind. Im Gegenteil, demokratieverachtende Parolen oder menschenfeindliche Äußerungen sollen und müssen von Lehrkräften kritisiert werden. Es gilt zwar das „Mäßigungsgebot“ für Lehrkräfte, trotzdem genießt auch eine Lehrkraft den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, denn politische Bildung muss für Menschlichkeit und Toleranz eintreten.
Die pluralistische Gesellschaft
Die politische Bildung legt das Fundament für eine friedliche und pluralistische Gesellschaft, die unterschiedliche Kulturen und Lebensstile toleriert. Auch muss die Meinungsbildung gefördert werden damit sich unterschiedliche Perspektiven entfalten können. Lehrerinnen und Lehrer können ebenfalls ihre Meinungen äußern, „solange sie ihre Sichtweise im Klassenzimmer nicht verabsolutieren, sondern andere Wertungen zulassen.“[2] Anders ist Demokratie auch nicht zu lernen und zu lehren. Es ist vollkommen unzureichend, wenn die Demokratie auf ein politisches System reduziert wird, denn sie muss permanent erlernt werden. Es ist natürlich ein Drahtseilakt, den weiten Raum der wehrhaften Demokratie, der sich zwischen Indoktrination und Neutralität ergibt, aufzuspannen. Trotzdem muss dieses Drahtseil bestiegen werden, weil sich daraus eine sehr große Chance ergibt – die Erziehung von kritischen und wehrhaften Demokraten, die weder auf Fake-News noch auf Stammtischparolen hereinfallen, denn „wir haben im 20. Jahrhundert erlebt, wie schnell umlaufende Stammtischparolen in blutige Wirklichkeit umgesetzt werden, wie ohnmächtig die politischen Aufklärer zusehen müssen, wenn die Umsetzung der Stammtischparolen und der Vorurteile ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreicht, dessen Eigendynamik nicht mehr aufzuhalten ist.“[3]
[1] Christine Barp und Tim Engartner, Haltung statt Zurückhaltung: Mehr politische Bildung wagen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2019, 12/19, S. 9
[2] [2] Christine Barp und Tim Engartner, Haltung statt Zurückhaltung: Mehr politische Bildung wagen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 2019, 12/19, S. 11
[3] Oskar Negt, Der politische Mensch, Göttingen, 2011, S. 418