Die Spekulation mit Wohnraum muss gestoppt werden

27. Dezember 2024

»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Flächennutzung die wichtigste aller Umweltfragen ist.« (George Monbiot)

Ein kurzer Blick in die Geschichte

Der Universalgelehrte Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) unterschied zwischen Ökonomik (Hausverwaltungskunst) und Chrematistik (Kunst des Gelderwerbs). Überspitzt kann gesagt werden, dass die Ökonomik die natürliche Erwerbskunst und die Chrematistik die widernatürliche Erwerbskunst ist. Oder anders gewendet, die Ökonomik dient der Bedarfsdeckung, während die Chrematistik darauf ausgelegt ist, Reichtum zu erlangen.

Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert veränderten sich die institutionellen Ordnungen und es fand eine gewaltige Dynamisierung der Gesellschaft statt. Überall in Westeuropa wurde der Merkantilismus der Feudalzeit durch den Kapitalismus ersetzt. Die Ökonomie war vorher geprägt durch bedarfsorientiertes und bedarfsdeckendes Wirtschaften und Leistung und Gegenleistung entsprachen sich, waren Äquivalent.[1] »Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden Nicht-Äquivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch schafft keinen Wert.«[2] Der Gebrauchswert war in der menschlichen Geschichte das Maß aller Dinge. Waren wurden gegen Geld getauscht und das Geld wurde wiederum in Waren getauscht. Geld und Waren stellte ein Äquivalent dar. Der Kapitalismus änderte diese Sichtweise fundamental und der, von Karl Marx beschriebene, Tauschwert dominierte fortan die Wirtschaft.

Die Immobilienblase in Amerika löste eine weltweite Finanzkrise aus

Beispielsweise lässt sich hier die Finanzkrise, die aus einer Immobilienblase in den USA entstand, aus dem Jahr 2008 anführen. Michael Lewis beschrieb in seinem Buch The Big Short[3] die Entstehung dieser Krise anhand des folgenden Beispiels.

Eine unterdurchschnittlich verdienende Tagesmutter in New York kaufte sich mit ihrer Schwester im Vorfeld der Krise sechs Häuser im Bezirk Queens. »Es war ganz einfach, nachdem sie das erste Haus gekauft hatten und es im Wert gestiegen war, kamen die Kreditgeber auf sie zu und schlugen eine Umschuldung vor, bei der sie 250.000 Dollar herausziehen konnten. Damit kauften sie das zweite Haus.« Die Preise der Immobilien stiegen und die Schwestern wiederholten den Vorgang. «Am Ende gehörten ihnen fünf solcher Häuser, der Markt brach ein und sie konnten für keines die Raten bezahlen.« Da sich viele Menschen in den USA ähnlich verhielten und immer mehr in dieses Spiel einstiegen, platzte schließlich die Immobilienblase. Letztendlich verloren vier Millionen Menschen ihre Häuser durch Zwangsvollstreckung. Durch die Entwertung der Immobilien verloren die Menschen ihre Immobilien und sie konnten ihre Schulden nicht mehr begleichen. »Ihr Streben nach Tauschwert hat sie letztlich um den Gebrauchswert der Immobilie gebracht.«[4] Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 bestand die Hoffnung, dass ein Lerneffekt eintreten könnte und sich die Mainstream-Ökonomie von der neoliberalen Agenda verabschieden würde. Es hat sich aber nichts geändert. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück haben gebetsmühlenartig zwar beteuert, dass die Ersparnisse sicher sind; die Finanzmärkte , der Immobilienmarkt und die Spekulation wurden aber nicht angetastet, stattdessen wurde die unrühmliche Schuldenbremse eingeführt.

Der Wohnraum ist kein Spekulationsobjekt

Wenn Immobilien nicht mehr als Wohnraum, sondern als Spekulationsobjekte bestimmt sind, ist die Konsequenz eindeutig. Eine Zunahme der Spekulationsobjekte führt dann zu einer Zunahme leerstehender Wohnungen. Der Kapitalismus schafft an dieser Stelle dann einen künstlich herbeigeführten Mangel an Wohnraum, der die Mietpreise explodieren lässt. Aufgrund dieses Mangels lassen sich hervorragend Profite generieren und die Spekulanten reiben sich die Hände. Würde sich etwas ändern, wenn Grundstücksspekulationen verboten wären und die Wohnraumpreise sich erheblich reduzieren würden? Nein, der Gebrauchswert der Wohnungen wäre der gleiche, aber mit dem großen Unterschied, dass der Wohnraum für alle, und insbesondere für ärmere, Menschen nun bezahlbar ist. Und das hat erhebliche Folgen für die gesamte Gesellschaft; das ist keine Kleinigkeit. Die Haushalte hätten zunächst mehr Geld zur Verfügung. Dadurch könnte die Binnennachfrage in Deutschland erheblich gestärkt werden. Zumal die von mir häufig kritisierte Exportorientierung Deutschlands, auf die man die letzten Jahrzehnte gesetzt hat, an Wichtigkeit verlieren könnte. Sie steht sowieso nach der Wahl von Donald Trump auf tönernen Füßen. Nun aber zurück in das Inland. Mit den sinkenden Mieten könnten dann auch die Miettransferzahlungen für Bürgergeldempfänger gesenkt werden. Im Gegenzug könnte das Bürgergeld erhöht werden. Die Schere zwischen arm und reich würde sich ein wenig schließen. Das gleiche gilt für Rentnerinnen und Rentner, sie hätten dann erheblich mehr Geld zur Verfügung und die Probleme der Rentenkasse wären entschärft. Ein beherztes Verbot von Bodenspekulationen und eine ernstgemeinte und durchgreifende Mietpreisbremse würde auch der Bildungspolitik guttun. Gegenwärtig müssen häufig beide Ehepaare arbeiten, um ihre Miete aufbringen zu können. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für die Kindererziehung. Also wird Erziehung zunehmend auf die Lehrkräfte übertragen, mit erheblichen Problemen für die Bildung.

Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, welche positiven Auswirkungen ein Verbot der Immobilienspekulation für die Gesellschaft haben könnte. Wenn dann noch der Blick über den Immobiliensektor geweitet und den von Marx kritisierten Tauschwert in die Betrachtung mit integriert wird, ergeben sich noch vielfältige Lösungsansätze für eine gerechtere und bessere Gesellschaft. Das rücksichtslose Streben nach Maximierung des Tauschwertes ist also nicht nur im Immobiliensektor zu beobachten. Weite Teile der Gesellschaft und der Institutionen sind von dieser Tauschwertorientierung erfasst. Selbst das Gesundheits– und Bildungswesen sowie wichtige Einrichtungen der gesellschaftlichen Versorgung werden zunehmend privatisiert und sind dem Wettbewerb ausgesetzt. Ȇberall – egal, ob in Schulen oder Medien – erzählt man uns die gleiche Geschichte: Die kostengünstigste, beste und effizienteste Methode zur Bereitstellung von Gebrauchswerten besteht darin, der Profitgier des Unternehmens freien Lauf zu lassen. Aus diesem Grund sind inzwischen viele Gebrauchswerte, die zuvor vom Staat kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden, privatisiert und kommodifiziert worden.«[5] Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollten wieder mehr über die Spekulation, den Tauschwert und die Allmende nachdenken und zielführende Änderungen herbeiführen. Dies bleibt aber Wunschdenken, wenn im nächsten Jahr Friedrich Merz wahrscheinlich die Kanzlerschaft übernimmt und den Wohnungsmarkt der kapitalistischen Logik unterwirft.

Mit der Allmende beschäftige ich mich im nächsten Blog.



[1] »Wenn Wert in der sozialen Form des Tauschwerts realisiert wird, werden Äquivalente ausgetauscht: Drei Stunden Backarbeit, die sich in 50 Broten vergegenständlicht, werden mit zwei Stunden Tischlerarbeit, die sich in einem Stuhl vergegenständlicht, gleichgesetzt, indem 50 Brote gegen einen Stuhl getauscht werden. Der Tausch ist, so die Marxsche Grundannahme, möglich, weil auf beiden Seiten ein Identisches steht – menschliche Arbeit (in unterschiedlicher Form als Bäcker- und Tischlerarbeit).« (Michael Quante, Der unversöhnte Marx, Paderborn, 2. Auflage, 2022, S. 69)

[2] [2] Marx Engels Werke (MEW), 23, Berlin, 1979, S.177/178.

[3] Michael Lewis, The Big Short, Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte, Frankfurt a.M., 2010, S. 124.

[4] David Harvey, Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus, Berlin, 2014, S. 39.

[5] David Harvey, Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus, Berlin, 2014, S. 41.

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