„Man muss Marx vor den Marxisten retten.“
(Jürgen Neffe)
Am 28.11.2020 findet der 200. Geburtstag von Friedrich Engels statt und seine Geburtsstadt Wuppertal – Barmen hat ihm zu Ehren einige Ausstellungen organisiert. Auch in der heutigen Zeit ist sein Werk noch aktuell. Vielleicht hat Engels den vorbehaltlosen Umgang mit dem Werk von Karl Marx blockiert. Diesem Werk wurden, wahrscheinlich durch Engels, die Buchstabenfolge „-ismus“ angehängt. Karl Marx hat aber niemals einen Marxismus begründet. Im Gegenteil, er wehrte sich sogar dagegen. Marx dialektische Denkweise ging nie davon aus, dass es abgeschlossene Systeme gibt. „Die Welt im Wandel durch Widerspruch verträgt in seiner Sichtweise keine dogmatische Erstarrung.“[1] Geschlossene Systeme, die durch die Endung „-ismus“ symbolisiert werden, lassen häufig keinen Widerspruch zu und bieten keinen Raum für dialektische Gedankengänge.
Marx, Engels und die Natur
Sowohl Karl Marx als auch Friedrich Engels beschäftigten sich intensiv mit der Natur  und den Bildungsgesetzen des Kapitals. Sie haben schon vor 150 Jahren erkannt, dass die große Menschheitsaufgabe darin besteht, fit zu werden – denn wir müssen die Natur nicht beherrschen, sondern wir müssen sie verstehen und uns ihr anpassen. Mittlerweile ist die Natur „zu einer bloßen Kulisse verkommen, vor der sich unser ökonomisches Handeln abspielt. Die Natur hat einfach nur zu funktionieren und zu liefern.“[2] Die ungebändigte und wilde Natur wird vom Kapital verachtet. Nach der Analyse von Marx darf, im Kapitalismus, die Akkumulation des Kaptals nicht abreißen und die Natur muss ständig ausgebeutet und auf den Markt gekarrt werden. Deshalb ist es erforderlich, die Naturwissenschaften zusammen mit den Sozial- und Geisteswissenschaften zu erfassen. Diesen Versuch hat Friedrich Engels vor 130 Jahren unternommen und seine wissenschaftliche Sichtweise in der „Dialektik der Natur“ dargelegt. Leider ist das Werk nie zu Ende geführt worden und es blieben nur Fragmente übrig. Es lohnt sich aber, sich mit diesen Fragmenten zu beschäftigen, weil sie heute noch aktuell sind. Heutzutage sind die Probleme zwar etwas anders gelagert und „Corona und Klima teilen sich eine strukturelle Eigenschaft, die zum Vergleich einlädt: Die Summe der Todesopfer ist eine Funktion der Summe des Handelns oder Nichthandelns seitens der Staaten.“[3] Aber ob Corona, Klima, Wälder oder Sennwirtschaft – alles hängt mit allem zusammen. Ich habe die Aufzeichnungen beziehungsweise die Fragmente von Friedrich Engels nach meinem subjektiven Empfinden ausgewählt und sehr stark gekürzt. Es ist selbstverständlich sinnvoller und erkenntnisreicher, den gesamten Text von Friedrich Engels zu lesen.
Friedrich Engels – Die Dialektik der Natur
„… das Tier benutzt die äußere Natur bloß und bringt Änderungen in ihr einfach durch seine Anwesenheit zustande; der Mensch macht sie durch seine Änderungen seinen Zwecken dienstbar, beherrscht sie. Und das ist der letzte, wesentliche Unterschied des Menschen von den übrigen Tieren, und es ist wieder die Arbeit, die diesen Unterschied bewirkt.
Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen aufheben. Die Leute, die von Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir mit jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können. … Alle bisherigen Produktionsweisen sind nur auf Erzielung des nächsten, unmittelbarsten Nutzeffekts der Arbeit ausgegangen. Die weiteren erst in späterer Zeit eintretenden, durch allmähliche Wiederholung und Anhäufung wirksam werdenden Folgen blieben gänzlich vernachlässigt.
…Die einzelnen, Produktion und Austausch beherrschenden Kapitalisten können sich nur um den unmittelbarsten Nutzeffekt ihrer Handlungen kümmern. Ja selbst dieser Nutzeffekt – soweit es sich um den Nutzen des erzeugten oder ausgetauschten Artikels handelt – tritt vollständig in den Hintergrund; der beim Verkauf zu erzielende Profit wird die einzige Triebfeder.“
Fazit
Friedrich Engels stellte schon damals fest, dass Eingriffe in die Natur nicht folgenlos bleiben und das der Verwertungsimperativ des Kapitals die wilde Natur als wertloses Ödland begreift, das Kapital verachtet die ungebändigte Natur. Natürlich konnte er vor 130 Jahren nicht ahnen, wie stark und mit welcher Wucht sich beispielsweise die Entwaldung [4] auf die menschliche Spezies auswirkt. „Bei der Entwaldung handelt es sich nicht nur um einen Motor des Biodiversitätsschwunds, sondern auch des zoonotischen Spillover selbst. Werden Schneisen durch tropische Wälder geschlagen, Flächen gerodet, Außenposten tiefer und tiefer ins Landesinnere verlegt, kommt der Mensch mit all den wimmernden Lebewesen in Kontakt, die bisher unbeeinträchtigt ihr Dasein fristeten. Menschen besetzen oder fallen in Gebiete ein, in denen sich Krankheitserreger in Hülle und Fülle tummeln.“[5]  Wenn Menschen störend in die Wälder eingreifen und der Wirtspopulation auf den Leib rücken, sie aus ihrem Umfeld verdrängen und die Ökosysteme zerstören, wächst, in zweiter Linie, nicht nur das Risiko für den nächsten Spillover, sondern, in dritter Linie, auch die globale Erderwärmung. Die renommierte Zeitschrift „Nature“ schrieb bereits im Jahre 2017: „Während die Trennlinie zwischen menschlichen und wilden Habitaten immer dünner wird, brüten wir möglicherweise bereits die nächste große Pandemie der Welt aus.“
[1] Jürgen Neffe, Marx – Der Unvollendete, München, 2017, S. 16
[2] Harald Lesch, Wenn nicht jetzt, wann dann?, München, 2018, S. 359.
[3] Andreas Malm, KlimaIx, Berlin, 2020, S. 40
[4] Die Entwaldung ist die zweitgrößte CO2-Emissionsquelle.
[5] Andreas Malm, KlimaIx, Berlin, 2020, S. 63