Erster Strafprozess nach Cum-Ex-Skandal

24. September 2019

Zwei ehemalige Aktienhändler stehen seit letzter Woche als Angeklagte vor dem Bonner Landgericht. Die Anklageschrift benennt ein Geschäftsmodell, dass „auf der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern basiert“. Den beiden Briten wird besonders schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen. Nach Anklageschrift haben die Betroffenen einen Steuerschaden von ungefähr 440 Millionen zu verantworten. Das die Angeklagten an „Cum-Ex“–Geschäften mitgewirkt haben ist unstrittig. Fraglich ist, ob dies im guten Glauben geschah oder ob eine vorsätzliche Tat vorliegt. Der Prozess muss also klären, ob „Cum-Ex“–Geschäfte „nur“ eine dreiste Abzocke und demzufolge eine besonders aggressive, aber legale Form der Steuergestaltung ist oder eine illegale Straftat (Steuerhinterziehung ).

Der undurchsichtige Aktienmarkt

Um dieses Verwirrspiel zu entwirren, muss der Kapitalmarkt, und hier speziell der Aktienmarkt, untersucht werden. Wer Aktien besitzt, hat zunächst einen Anspruch auf eine Dividende. Ob eine Aktiengesellschaft eine Dividende (Anteile am Gewinn) ausschüttet, wird in der jährlich stattfindenden Hauptversammlung beschlossen. Es gibt unterschiedliche Aktienarten, unter anderem Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch. Rund um den Zahlungsstichtag werden die Aktien nun hin- und hergeschoben. Die Aktie wird kurz vor dem Termin der Dividendenzahlung verkauft und der Rückkauf erfolgt kurz nach diesem Termin. Solch ein Verhalten wird als Dividendenstripping bezeichnet. Diese Geschäfte werden nur deshalb durchgeführt, um einen Steuervorteil zu erhalten, denn einem inländischen Unternehmen steht die Erstattung der in Deutschland gezahlten Kapitalertragsteuer auf Dividendenzahlungen zu.

Die Dividendenzahlung erfolgt meist am Tag nach der Hauptversammlung, dies ist der Ex-Tag. Auf dem Kurszettel  wird nun der Vermerk „ex Dividenden (oder auch „xD“, „exD“ oder „exDiv“) eingetragen. Der Aktionär hat nur Anspruch auf die Dividende, wenn seine Aktie bis zum letzten Tag vor dem Ex-Tag ihm gehört. Die Aktie muss also in seinem Depot verbucht sein. Der letzte Tag vor dem Ex-Tag wird als Cum-Tag bezeichnet.

Viele Aktiengesellschaften sperren einige Tage vor der Hauptversammlung die Aktien, sodass ein Handel nicht mehr stattfinden kann. Dies ist bei Namensaktien  leicht zu bewerkstelligen, weil dieses Wertpapier zu den geborenen Orderpapieren gehört und häufig verbrieft ist. Solche Aktien sind selten geworden. Heute gehen Aktien in Sekundenbruchteilen um die Erde und es handelt sich um namenlose Inhaberaktien. Dies ist insofern problematisch, weil der Handel dieses Aktientyps auch während der Hauptversammlung stattfinden kann. Der Dividendenanspruch erlischt, wenn die Aktie am Ex-Tag oder auch danach erworben wurde.

Kapitalerträge werden unzureichend besteuert

Wenn ein Aktionär eine Dividende ausgezahlt bekommt, ist dieser Gewinnanteil natürlich zu versteuern. Maßgeblich ist das Einkommensteuergesetz, dass Kapitalerträge (Dividenden aus Aktien, Zinsen u.ä.) in die Besteuerung einbezieht. Jetzt könnte man meinen, dass reiche Bürger den Spitzensteuersatz von 42 Prozent  bezahlen oder gar die sogenannte „Reichensteuer“  in Höhe von 45 Prozent. Weit gefehlt, die Höhe der Kapitalertragsteuer liegt nur bei 25 Prozent. Diese Steuer wird direkt von der Bank verbucht und abgeführt. Der Kunde erhält einen entsprechenden Bescheid der Bank, dieser muss der Einkommensteuererklärung beigelegt werden.

Wie ist es nun möglich, dass die Finanzämter mehr Steuern erstatten als sie vorher vereinnahmten? Angenommen, der Verkäufer der Aktie war ein Leerverkäufer, die Aktie wurde erst nach dem Dividendentermin erworben. Sowohl der ursprüngliche Inhaber und der Käufer des Leerverkäufers erhalten dann eine Steuerbescheinigung.

Ein Beispiel

Dies lässt sich exemplifizieren:  Ein Leerverkäufer verkauft vor dem Dividendenstichtag Aktien (Cum) zum Kurswert von 1.000,00 € an einen Leerkäufer. Auf der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft wird eine Bruttodividende i.H.v. 100,00 € beschlossen. Der Leerverkäufer kauft nach dem Dividendenstichtag diese Aktie ohne Dividende (Ex) von Aktionär XY zum geminderten Kaufpreis von 900,00 € und überträgt die Aktie an den Leerkäufer. Der Leerkäufer zahlt noch zusätzlich eine Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende, also 75,00 €. Der Leerkäufer bekommt eine Steuerbescheinigung, die der Aktionär XY ebenfalls erhalten hat, in Höhe von 25,00 €. Damit wird der Leerkäufer genauso behandelt, als wenn er die Aktie mit Dividendenanspruch erworben hätte. In der Konsequenz macht der Leerverkäufer einen Gewinn in Höhe der doppelt bescheinigten Kapitalertragsteuer. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn der Leerkäufer die Aktie direkt von XY erworben hätte. Dann wäre durch den Sperrvermerk im Depot die doppelte Bescheinigung verhindert worden.

Sind solche Praktiken nun als rigorose aber legale Form der Steuergestaltung oder als Straftaten zu qualifizieren? In jedem Fall hat der Staat das Nachsehen. In Deutschland wurden mit solchen Praktiken über 30 Milliarden Euro dem Staat vorenthalten.

Übertragen auf andere Fälle des täglichen Lebens könnte man die rechtlich unterschiedliche Behandlung zwischen Diebstahl und Unterschlagung heranführen. Wenn ich beispielsweise meinen PKW nicht verschließe und es befindet sich auf dem Fahrersitz eine Geldbörse, die in meiner Abwesenheit aus dem Auto genommen wird, so liegt nach meinem Rechtsverständnis ein Diebstahl dieser Geldbörse vor und keineswegs nur eine Unterschlagung. Dies ist aber nur eine Vermutung, es kann sein, dass die Rechtsprechung zu einem anderen Schluss kommt. Egal wie der Prozess ausgeht, eins ist sicher, die Banken und der gesamte Finanzsektor haben sich auf Kosten der Allgemeinheit in einer unmoralischen Art und Weise bereichert und eine Bestrafung würde ein zielführendes Signal setzen.

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