Landnahme reloaded (Teil 1)

13. Mai 2025

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ (Egon Bahr, SPD-Politiker, am 04.12.2013 in einem bemerkenswerten Vortrag vor Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Studentinnen und Studenten)

Durch die russische Invasion in der Ukraine und dem Interesse des US-Präsidenten Donald Trump an Grönland, ist die Landnahme wieder in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. In den Medien und in der Öffentlichkeit wird zunehmend der Klimawandel als Grund für die Landnahme genannt. Klar, die Konsequenzen werden für große Teile der Weltbevölkerung dramatisch sein und es wird große, sehr große, Fluchtbewegungen geben. Wie so oft in der Berichterstattung wird der Klimawandel als Ursache für diese Misere´ verantwortlich gemacht. Der Klimawandel ist aber nicht die Ursache für die Fluchtbewegungen, sondern das menschliche Handeln, das den Klimawandel erst möglich macht. Ob Waldsterben, Gletscherschmelze, Dürren und weltumspannende Fluchtbewegungen, immer häufiger wird dem Klimawandel die Schuld in die Schuhe geschoben. Ein Klimawandel kann niemals Schuld für irgendetwas sein, es ist immer der Mensch, der Schuld hat. Und hier ist an erster Stelle die anthropogene Wirtschaftsweise durch den „Allesfresser Kapitalismus“ (Nancy Fraser), der scheinbar ohne Landnahme nicht existieren kann, zu nennen.

Klimawandel, Klimakatastrophe oder doch Klimakrise

Die Erderhitzung wird häufig im Zusammenhang mit dem Begriff »Klimakrise« genannt. Der Begriff Klimakatastrophe ist vielleicht angebrachter, er ist aber semantisch nicht korrekt, da das Klima, wie auch die Natur, natürlich kein Subjekt ist und deshalb keine Katastrophen erleben kann. Deshalb wird weitläufig der Begriff Klimawandel benutzt. Der Begriff ist semantisch zutreffender, aber auch eine Verniedlichung dessen, was da auf uns zurollt. Wenn ein Mensch krank wird, sprechen wir von einer Krankheit und keineswegs vom Gesundheitswandel. Die Krankheit der fragilen Atmosphäre wird aber Klimawandel genannt. Der Ausdruck suggeriert, dass das Klimaproblem technisch beherrsch- und heilbar ist. Das gleiche gilt für den Ausdruck Klimakrise. Im Gegensatz zu sämtlichen Katastrophen die die Menschheit je miterlebt hat, wird sich die Klimakatastrophe vollkommen anders darstellen. Bei allen anderen Katastrophen war es irgendwann vorbei und die Menschheit konnte sich neuformieren. In diesem Zusammenhang kann der Begriff Krise Anwendung finden, denn eine Krise geht vorbei. Dies ist beim Klimawandel nicht möglich, da das veränderte Klima, mit allen Konsequenzen, bleiben wird, weil sich das Kohlendioxid bereits in der Atmosphäre befindet und die nächsten Jahrzehnte oder Jahrhunderte dort verharren wird. Eine Rückkehr ist, ohne zweifelhafte technische Eingriffe, nicht möglich, es geht nicht mehr zurück in einen status quo ante. Letztendlich geht es aber nicht um eine Rettung des Klimas, sondern darum, die Lebensgrundlagen der Gattung Mensch zu bewahren. Die Natur ist zwar träge, schafft aber dann, wenn der anthropogene Einfluss zu groß wird, irreversible Zustände. Leider gibt es in der deutschen Sprache kein brauchbares Äquivalent des englischen Ausdrucks predicament. Dieser Begriff beschreibt eine dauerhafte und gefährliche Lage, die man nur mit größten Mühen entkommen kann. Deshalb ist das Klimageschehen in die weitaus umfassenderer Umweltproblematik einzuordnen, die wiederum mit der ökonomischen Produktionsweise zu verknüpfen ist.

Grönland

Sowohl die Umweltproblematik als auch die Landnahme lässt sich anhand der aktuellen Berichterstattung über die Vereinnahmung Grönlands durch die Vereinigten Staaten von Amerika skizieren.  Alfred Wegener (1880-1930) war mit seinem Expeditionsteam mehrfach in Grönland, um unter anderem auch die Eismassen zu erforschen. Wegener schätzte, »dass Grönland eine Eismasse von mindestens drei Millionen Kubikkilometern enthält. Dies entspricht, wie Kurt Wölcken (1904-1992), einer der an der Expedition beteiligten Geophysiker 1932 anmerkte, ungefähr der „Masse des gesamten europäischen Festlandes mit allen Hoch- und Mittelgebirgen.«[1] In der Denkweise von Donald Trump wäre es ökonomisch vorteilhaft, wenn Teile des Eises möglichst schnell wegschmelzen würde, um einen kosteneffizienten Abbau der Rohstoffe zu gewährleisten. Man stelle sich diesen ökologischen Wahnsinn bezüglich des Klimawandels vor. »Grönland enthält vierzigmal so viel Wasser wie Nord- und Ostsee zusammengenommen: würde das hier aufgespeicherte Eis schmelzen, so stiege das Weltmeer um nicht weniger als acht Meter, und weite tief liegende Gebiete in allen Erdteilen würden unter Wasser gesetzt werden.«[2] 

Aber nicht nur Grönland ist bedroht, auch der Permafrostboden in Sibirien taut auf und das fragile Ökosystem kippt im zunehmenden Maße. In Sibirien wurde im Juni 2020 eine Außentemperatur von 38 Grad Celsius, wahrscheinlich die höchste in der Geschichte des Nordpolarkreises, gemessen. Wenn der Permafrostboden eine Temperatur von minus 1,5 Grad Celsius hält, ist er gefroren. Steigt nun die Temperatur um nur 2 Grad, beträgt dann die Bodentemperatur 0,5 Grad und der Boden taut auf. Fachleute gehen davon aus, dass der schmelzende Eisboden in Alaska zwischen 22 Milliarden und 432 Milliarden Tonnen Treibhausgase freisetzen wird. Dies lässt sich nicht genau berechnen. Um eine Vorstellung für die Größenordnung zu bekommen, lassen sich die genannten Zahlen in Relation zum weltweiten CO2-Ausstoss setzen. Im Jahr 2021 emittierten alle Länder der Erde 37 Milliarden Tonnen CO2.

Der Klimawandel ist logischerweise nicht schuld an dieser Misere´, sondern der CO2-Ausstoss wird durch die kapitalistische Produktionsweise und von der zunehmenden Landnahme angetrieben.


[1] Michael Schmidt-Salomon, Die Evolution des Denkens, München, 2024, S. 109.

[2] Else Wegener/Fritz Loewe (Hg.): Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt. Die Erlebnisse der deutschen Grönlandexpedition 1930/1931, Leipzig 1932 (Kindle Version), S. 389.

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