„Jede Kultur ist ein Glücksspiel, das mit der Natur gespielt wird.“
(Marshall Sahlins, Anthropologe)
Wie ich schon vor Wochen ausführte, werden die Infektionszahlen wieder stark ansteigen, weil die Schulen und Kitas geöffnet wurden. Die gegenwärtigen Zahlen bilden das Infektionsgeschehen von vor 2 Wochen ab. Was ist passiert? Ende Februar wurden die ersten Lockerungen beschlossen. Überall war zu hören, dass die Schulen als erste Institutionen wieder den Betrieb aufnehmen sollen. Die Schulen wurden geöffnet und die Geschäfte, die Gastronomie und der Kulturbetrieb wurden weiter geschlossen. Also strömten Anfang März über 800.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in die Schulen und Kitas in Nordrhein-Westfalen. Es wurden zunächst die Kitas, Grundschulen und die Abschlussklassen (junge Erwachsene) geöffnet. Alles andere, außer die Friseurgeschäfte, blieb zu und die Zahlen stiegen unaufhörlich. Dass anschließend die Schulen noch weiter geöffnet wurden, ist nur eine Randnotiz, denn eigentlich ist schon vorher der Beweis erbracht worden, dass die Schulen die Infektion treiben. So wird es aber nicht kommuniziert. Stattdessen hört man in den Medien, dass diese Situation durch die gefährliche Corona-Mutante entstanden ist. Was hat die Mutante mit den Kontakten, beispielsweise in den Schulen zu tun? Natürlich nichts, außer dass die britische Mutante wesentlich ansteckender ist. Stellen wir uns 10 Schüler vor. Einer davon ist infektiös. Wenn diese 10 Schüler keinen Kontakt haben, kann sich das Virus logischerweise nicht ausbreiten und die Pandemie ist bekämpft, wenn der Schüler in Quarantäne geht. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob der infizierte Schüler das britische, südafrikanische oder brasilianische Virus in sich trägt. Entscheidend ist einzig und allein die Kontaktbeschränkung. Mit dem Beschluss des Corona-Kabinetts vom 22.03.2021 werden diese Kontaktbeschränkungen in den Schulen aber nur halbherzig durchgesetzt. Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) bringt es auf den Punkt: »Testen mindestens zweimal pro Woche, Impfen des Personals, Einhaltung der Hygieneregeln. Wenn es unmöglich ist, das umzusetzen, ist es schlicht nicht möglich, den Schulbetrieb zu gewährleisten!«  Dumm nur, dass weder Tests in ausreichender Menge vorliegen noch eine zielführende Teststrategie vorhanden ist und von geimpften Lehrerinnen und Lehrer sind wir meilenweit entfernt. Warum öffnet man trotzdem die weiterführenden Schulen?
Australien und die Wassermassen
Am anderen Ende der Welt, in Australien, kämpft die Bevölkerung zeitgleich gegen die Wassermassen an, die durch den Klimawandel verursacht worden sind. Was hat nun das Corona-Virus mit dem Klimawandel zu tun? Ich habe in vielen Blogs auf dieser Homepage einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Corona-Pandemie hergestellt. Bezüglich der gestrigen Beschlüsse des Corona-Kabinetts und der Berichterstattung über die Umweltkatastrophe in Australien (22.03.2021) lässt sich ebenfalls ein Zusammenhang herstellen; denn Klima und Corona lassen sich vergleichen, weil sie sich eine strukturelle Eigenschaft teilen, nämlich: „Die Summe der Todesopfer ist eine Funktion der Summe des Handelns oder Nichthandels seitens der Staaten. Unbehandelt intensivieren sich beide Übel von selbst – je mehr Menschen infiziert sind, desto mehr werden sich infizieren; je heißer der Planet ist, desto mehr Rückkoppelungsmechanismen heizen ihn weiter auf -, und haben sie erst einmal richtig Fahrt aufgenommen, besteht die einzige Möglichkeit, solch um sich greifende Brände abzublocken, darin, den Stecker zu ziehen“.[1] In beiden Fällen sind palliative Maßnahmen nicht zielführend. In der gegenwärtigen Corona-Situation ist nur Angela Merkel bereit, den Stecker zu ziehen. Leider sperren sich die Landesfürsten gegen die Maßnahmen von Frau Merkel. Diese Situation hatten wir schon einmal im Oktober/November 2020 und scheinbar haben die Ministerpräsidenten[2] nichts gelernt. Wie soll bei einem derartig geringen Lernfortschritt die, weitaus größere, Problematik des Klimawandels gelöst werden? Vielleicht wäre es für die Ministerpräsidenten hilfreich, wenn sie sich zunächst nur einen Merksatz verinnerlichen würden: Das Corona-Virus ist imstande mit evolutionärer Lichtgeschwindigkeit zu mutieren. Das Genom (DNA) der menschlichen Spezies hat sich in acht Millionen Jahren um ein Prozent weiterentwickelt, RNA-Viren können derartige Strecken innerhalb weniger Tage zurücklegen. Deshalb gilt: Nach der Mutation, ist vor der Mutation. Die MP`s sollten an dieser Stelle dringend die Verhältnis- oder Bruchrechnung wiederholen. Erfreulicherweise ist die Corona-Pandemie aber nur eine Krise, gegen die es sogar einen Impfstoff gibt. Der Klimawandel ist aber keine Krise, die irgendwann vorbei ist, sondern eine Katastrophe, die bleiben wird. Da ergeben sich dann ganz andere Verhältnisse.
Katastrophen und Krisen
Apropos Katastrophen – die aktuelle Schulpolitik der bräsigen und infantilen Kultusministerkonferenz ist ebenfalls ein bildungspolitisches Desaster. Es bleibt zu hoffen, dass die MP´s und die Kultusministerkonferenz Lernfortschritte machen. Dies scheint aber nicht zuzutreffen, weil die Politikerinnen und Politiker die Inzidenzen falsch interpretieren und das Mantra „Schulen sind keine Hotspots“ nicht zur Diskussion steht. Viele MP`s gehen fälschlicherweise davon aus, dass die gegenwärtigen Inzidenzen auch das gegenwärtige Infektionsgeschehen abbilden. Die Krise lässt sich aber nur bewältigen, wenn die Kontakte reduziert und die Inzidenzen richtig gedeutet werden. Außerdem ist der R-Wert wieder stärker zu berücksichtigten. Liegt er über 1, nehmen die Fallzahlen zu und aus dem linearen Wachstum wird zunehmend ein exponentielles Wachstum. Gegenwärtig (23.03.2021) liegt der R-Wert bei 1,12 und ich vermute, dass das exponentielle Wachstum, aber auch die Grundsätze mathematische Funktionen, wieder in den Lehrplan für die Ministerpräsidenten aufgenommen werden müssen, weil die Kontakte in den Schulen nach wie vor unterschätzt werden.
Apropos Krisen – die Corona-Pandemie kann nur mit Kontaktbeschränkungen und einem Lockdown bekämpft werden. Dies könnte sich ändern, wenn zukünftig ausreichend Impfstoffe und Tests vorhanden sind. Eigentlich wird für die Bekämpfung der Klimakatastrophe ebenfalls ein harter und strenger Lockdown benötigt. Aber halt – das stimmt so nicht. Gerade in der Pandemie haben viele Menschen gemerkt, dass der Klimawandel mit „Verhaltensregeln“ aufgehalten werden kann, die wir in der Pandemie vermissen: Mit vielen Menschen Bus fahren, statt den Individualverkehr zu nutzen / Mit vielen Menschen eine Mahlzeit teilen, statt alleine zu speisen / Straßenfeste zu feiern, statt Konsumorgien in den Innenstädten zu veranstalten / Zeit mit den Liebsten im Altenheim zu verbringen, statt bei Amazon unnütze Dinge zu bestellen / Ein geselliges Leben führen, statt das Leben mit dem Smartphone zu verbringen / Kulturveranstaltungen zu besuchen, statt sich auf dem Ballermann die Kante zu geben.
Nachtrag
Heute (Karfreitag) stagnieren die Infektionszahlen und die Inzidenzen gehen leicht zurück. Wie ist das zu erklären? Unser Schulsystem (circa 11 Millionen Schülerinnen und Schüler / circa 800.000 Lehrerinnen und Lehrer) umfasst ungefähr 12 Millionen Menschen. Der o.g. Artikel wurde von mir vor 10 Tagen verfasst. Ungefähr [3] zu dieser Zeit begannen in Deutschland die Osterferien. Bedingt durch diese Ferien befindet sich die Schule bundesweit im „Lockdown“ und nach 10 Tagen stagnieren bzw. sinken die Inzidenzen. Wenn nach den Ferien die Zahlen wieder steigen, wird man den Mallorca-Touristen (circa 40.000 Urlauber, das entspricht 0,3% des Schulbetriebes) die Schuld daran geben. So hat man wieder eine schöne Begründung dafür, dass die Schulen keine Hotspots sind.
[1] Andreas Malm, KlimaIx, Berlin, 2020, S. 40
[2] Ich habe mich diesmal (absichtlich) nur für die männliche Form entschieden.
[3] Die Bundesländer haben unterschiedliche Ferienzeiten.