Die Saat geht auf – leider

15. November 2020

„Es wird lange dauern, bis ich mich wieder mit der humanen Influenza beschäftigen werde. Angst zu bekommen, ist zwar eine verständliche emotionale Reaktion, aber angesichts der fortschreitenden Entwicklung doch verdreht, weil zu spät. Woher der Erreger auch stammen mag, er hat schon vor langer Zeit buchstäblich sein Nest verlassen.“

Rob Wallace

Der Boden wird von zwei Seiten gleichzeitig bedroht. Einerseits vom Finanzkapital, dass in der Zeit von 2006 bis 2016 über 45 Milliarden US-Dollar in das Agrarland und in die landwirtschaftliche Erzeugung investierte und andererseits von den Landwirten selbst, weil sie den Boden industriell bearbeiten. Finanzkapital und Landwirte beuten den Boden zunehmend aus und die Konsequenzen werden allmählich sichtbar.

Das überschüssige Finanzkapital

Böden können als Anbau-, Abbau- und Standortboden genutzt werden. In Zeiten niedriger Zinsen bietet der Boden eine sichere Geldanlage. Die Mietpreise steigen, die Immobilienfonds erleben nie dagewesene Höheflüge und sie erzielen hohe Dividenden. Die Spekulanten interessieren sich nur für ihre Kapitalverzinsung und nicht für die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt. Darüber hinaus kaufen sie den Landwirten den Anbauboden weg. Eigentlich dürfte es nicht vorkommen, dass Investoren Agrarböden kaufen können, schließlich gibt es in Deutschland doch das Grundstücksverkehrsgesetz. Dieses Gesetz sieht vor, dass Landwirte grundsätzlich ein Vorkaufsrecht für den Agrarboden haben. Doch findige Investoren fanden einen Weg dieses Gesetz auszuhebeln. Dies geschieht über Share-Deals, die so strukturiert sind, dass der Investor nicht den Boden kauft, sondern die Mehrheitsanteile des Agrarbetriebes. Somit läuft das Grundstücksverkehrsgesetz ins Leere und der Agrarboden wird zum Spekulationsobjekt. Die Kaufpreise für den Anbauboden stiegen in den letzten Jahren zunehmend. Durch die Landnahme der externen Investoren geht die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe zurück, es findet eine verschärfte Wettbewerbskonzentration statt und die Monopolisierung schreitet voran.

Das Landgrabbing

Sowohl die Umgehung des Grundstücksverkehrsgesetzes als auch die zunehmende Monopolisierung der Agrarböden sind nicht kompatibel mit den Grundsätzen einer Sozialen Marktwirtschaft. Deshalb muss dringend gehandelt werden. Die Bundestagsfraktion der Linken hat einen ersten wichtigen Schritt unternommen. „In diesem Zusammenhang hat die Linken-Bundestagsfraktion Ende September ein spannendes Rechtsgutachten veröffentlicht. Es zeigt auf, dass die Fläche in den Händen einzelner Eigentümer gedeckelt werden könnte, beispielsweise auf 500 Hektar. Dem Gutachten nach ist zudem eine Regulierung von Share-Deals, also ein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit und in das Eigentumsrecht der Gesellschafter, möglich. Die Sicherung einer nachhaltigen Agrarstruktur ist als verfassungsrechtlich legitimer Zweck anzuerkennen.“[1]

Die Saat geht auf

Die Finanzindustrie setzt auf Skaleneffekte  und arbeitssparende Monokulturen. Mit zunehmender Landnutzung werden die Lebensräume vieler Wildtierarten weltweit zurückgedrängt. Die Habitate von Tieren, wie beispielsweise Fledermäuse, Füchse und Ratten werden zerstört. Diese Tiere, die reihenweise neuen Erregern ausgesetzt sind, finden dann ihre Nischen in Städten und anderen Kulturlandschaften. Unterschiedliche und zahlreiche Virenstämme besiedeln Orte voller anfälliger Tiere, die in Ställen der Massentierhaltung ihr Leben fristen müssen.

Durch die intensive Landwirtschaft wird der Umsatz der Nährstoffe beschleunigt und erhöht. Außerdem steigen auch die ökonomischen Umsätze und die monetäre Saat geht (leider) auf. Wie bereits Heinrich von Thünen (1783 – 1850) schon in seinem Bodenertragsgesetz formulierte, bringt der überbeanspruchte Boden zunehmend geringere Erträge. Auch darf an dieser Stelle das Wasser nicht vergessen werden. Eine intensive Landwirtschaft erhöht nicht nur die Erträge und den Wasserumsatz, sondern führt zu den gleichen Zielen und Bedingungen der industriellen Produktion. Das Gesetz der Massenproduktion,  der Fordismus der 20er Jahre, wird von den BWLérn einfach auf die Landwirtschaft übertragen. Leider ergibt sich für die Agrarökonomie ein gewichtiger Nachteil: „Der schnelle Umschlag, der zu jeder industriellen Produktion dazugehört, liefert permanent neue anfällige Wirtskörper und befeuert so die Evolution von Virulenz.“[2]

Fazit

Die umfassende ökologische Krise, in der wir uns befinden, wird durch COVID-19 widergespiegelt. Fachleute vertreten schon seit längerer Zeit die These, dass die industrielle Viehhaltung, verbunden mit der genetischen Monokultur der Zuchttiere, die perfekte Bedingung für virulente Krankheitserregern bringt. Die intensive und industrielle Landwirtschaft stößt an die natürlichen Grenzen der Biosphäre. Blöd nur – der Kapitalismus akzeptiert keine Grenzen, im Gegenteil, er überwindet Grenzen beziehungsweise muss sie überwinden, um weiter lebensfähig zu bleiben. Insofern verhält sich der Kapitalismus wie das Coronavirus; beide gehorchen dem permanenten Verwertungsimperativ.

Noch schnell einen aktuellen Nachtrag: Dass die Biosphäre und die Atmosphäre zwingend und sofort gerettet werden müssen, macht der Bericht des Fachjournals „Scientific Reports“ vom 12.11.2020 deutlich, darin heißt es: „Die Erderwärmung hat den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, längst überschritten.“

[1] Benjamin Luig, Ein Deckel für die Äcker, in: der Freitag, Nr. 44 vom 29.10.2020, S.4

[2] Rob Wallace, Was COVID-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat, Köln, 2020, S. 54

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