Katar und das Erdgas

22. Dezember 2022

„Die Natur wird uns vermutlich nicht vor uns selbst retten.“ (Charles Eisenstein)

 Die 22. Fußball-Weltmeisterschaft ist beendet, Argentinien ist Weltmeister und die Machtressource Fußball spielt in Katar keine Rolle mehr. Stattdessen steht nun wieder die Ressource Erdgas auf der Agenda.

Bis in die 1970er Jahre spielte die beduinisch geprägte Gemeinde von Katar keine große Rolle in der Weltgemeinschaft. Dies änderte sich schlagartig als am 03.September 1971 Großbritannien Katar in die Unabhängigkeit entließ. Fast zeitgleich wurde einer der größten Erdgasfelder der Welt, das South-Pars-Gasfeld, vor Katar und dem Iran entdeckt. Katar hatte damals ungefähr 150.000 Staatsbürger und war auf Arbeitsmigranten angewiesen. Insofern beruht der Wohlstand der Kataris auch auf die Ausbeutung der Arbeitsmigranten. Die Fußball-Weltmeisterschaft hat sehr deutlich gezeigt, wie Katar mit diesen Arbeiterinnen und Arbeitern umgeht. Kritik am katarischen Regime und an der Staatsreligion, dem Islam, waren nicht erwünscht. Die westlich geprägte Welt hielt sich mit kritischen Aussagen auch sehr zurück, wohlwissend das das Erdgas dringend benötigt wird.

Das größte Erdgasfeld

Das South-Pars-Gasfeld inklusive des Nord-Felds weisen eine sehr große Besonderheit auf, denn dieses Feld ist nicht Teil einer Erdöllagerstätte. Das sehr große Feld wird von Katar (2/3) und dem Iran (1/3) gleichermaßen ausgebeutet und es wird die Gasversorgung noch einige Jahre sicherstellen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir in der Falle sitzen. Einerseits darf aus Sicht des Klimaschutzes kein Gas mehr gefördert werden, andererseits ist der Hunger nach Gas ungebremst hoch und scheinbar wird übersehen, dass die Vorräte endlich sind.

Ich habe in meinem Buch Die Vergötterung der Märkte die Erdölförderung genau beschrieben. Die Erdgasförderung funktioniert ähnlich, es gibt aber auch Besonderheiten (Quellenförderung beim Öl, Methanaustritt, Transport usw.). Wenn nun der Bedarf an neuem Gas sehr groß ist, besteht die Gefahr das Erdgasfelder so schnell wie möglich an das Produktionsmaximum gebracht werden. Dies hat dann erhebliche Folgen. Zum Beispiel wurde das größte sibirische Gasfeld „Urengoy“ sehr schnell ausgebeutet, mit der Konsequenz, „dass bereits nach 10 Jahren, 1989, das Produktionsmaximum erreicht war, obwohl man erst etwa ein Drittel der förderbaren Gasmenge entnommen hatte. Seit dieser Zeit geht dort die Produktion Jahr für Jahr zurück.“ [1]

Aufgrund der besonderen Fördersituation in Katar werden diese Fehler vermutlich nicht wiederholt. Als Beleg dafür könnten die ab 2026 geschlossenen Verträge über Erdgaslieferungen zwischen Katar und Deutschland, mit dem Umweg über die US-amerikanische Firma Conoco Phillips, herhalten. Der Energieminister Katars Saad Scharida al-Kaabi garantiert die Lieferung für 15 Jahre. Es sollen aber nur bis zu zwei Millionen Tonnen geliefert werden. Vermutlich möchte man das Erdgasfeld nicht so schnell in das Produktionsmaximum führen. Das Problem ist aber, dass dieses „mickrige“ Liefervolumen nur 3 Prozent des deutschen Bedarfs deckt.

Der unermessliche Gasbedarf

Ich habe mich in meinem Buch mit der Versorgungssituation der fossilen Brennstoffe Erdöl und -gas kritisch auseinandergesetzt. Ein wichtiger Kritikpunkt war der Ressourcenmarkt, der angeblich alles regelt und keiner übergeordneten politischen Steuerung bedarf.  Durch die Anpassung des Angebots an die Nachfrage über die Preise kann es zu keiner Vorhersage einer kritischen Versorgungssituation kommen. Ich habe es unter anderem damit begründet, dass die reale Welt die sich ändernden physischen Voraussetzungen (Rohstoffvorräte und  Umweltauswirkungen) nicht berücksichtigt. Eine solche Sichtweise führt zu der Erwartung, dass sich zu jeder Zeit eine befriedigende Versorgungssituation automatisch einstellt. Dies ist aber nicht möglich.

Vor drei Jahren habe ich ökonomische und ökologische Perspektiven gewählt und habe die politische Sichtweise häufig vernachlässigt. Es wäre aber sehr blauäugig zu behaupten, dass sich die grundsätzliche Situation tiefgreifend verändern würde, wenn Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht geführt hätte. Sicherlich wäre die gegenwärtige Versorgungssicherheit wesentlich besser, das grundsätzliche Problem wird aber bleiben, mit oder ohne Putin. Mittelfristig werden wir uns damit abfinden müssen, dass die Versorgung mit Gas zurückgeht, weil schlicht und ergreifend Gas immer knapper wird. Dies ist in einer lehrbuchmäßigen Marktwirtschaft eigentlich kein Problem, weil der Preis die tatsächliche Knappheit anzeigt. Je knapper das Wirtschaftsgut, desto höher der Preis.  In der Realität funktionieren der Markt und der Preis bei der Zuteilung von Gas nicht.

Die Energiedroge

Die zentrale Quelle des Reichtums der Industriestaaten sind Rohöl bzw. Erdgas, die beim Verbrennen CO2 – Emissionen freisetzen. Scheinbar ist es rational, sich ausgiebig an und in der Natur zu bedienen. Diese Nutzung hat Karl Marx als »Gratisgeschenk der Natur« bezeichnet. Dieses Gratisgeschenk wird radikal genutzt bzw. geplündert und man schreckt nicht davor zurück, Kriege anzuzetteln, um an die Energiedrogen zu kommen. Diese Stoffe sollen möglichst günstig, am besten als Gratisgeschenk, verteilt werden.

Wie soll jetzt, bei einer Anbieterin, die Geschenke macht, ein Marktpreis entstehen? Dies funktioniert nur, wenn der auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Unternehmer der Urproduktion in die Rolle der Natur, der Anbieterin, schlüpft. Ökonomisch wird also der Bock zum Gärtner gemacht. Dieser Ressourcenbesitzer wird mit Sicherheit nicht die Frage stellen, den endlichen Rohstoff nicht anzurühren und für die kommenden Generationen aufzubewahren. Wie viel darf er also für die gegenwärtige Generation »abzwacken«? Wer entscheidet darüber? Neoliberale Ökonomen vergöttern die Märkte und haben eine einfache Lösung, nämlich der Preis wird die Entscheidung herbeiführen. Der Preis ist schließlich der beste Knappheitsindikator.

Der Rohstoffbesitzer steht in einem kapitalistisch ausgerichteten System immer vor der Frage, ob er den Rohstoff sofort abbaut. In diesem Fall kann der Rohstoff auf dem Markt verkauft werden und der Urproduzent kann seinen erzielten Gewinn am Kapitalmarkt anlegen. Oder soll er den Rohstoff zurückhalten und darauf wetten, dass der Marktpreis durch die Verknappung zukünftig so steigt, dass in diesem Fall ein größerer Gewinn zu erwarten ist.

Die Reduktion der Preissteigerungsrate

 An dieser Stelle muss man einerseits den aktuellen Ressourcenpreis mit der zukünftigen Preisänderungsrate vergleichen. Liegt letztere über den Marktzins, dann werden spätere Abbautermine interessant, weil höhere Preise angesetzt werden können. Durch die Reduzierung der Förderung wird logischerweise die Ressource langsamer abgebaut. Sie wird dann zukünftig weniger knapp sein als in der ursprünglichen Kalkulation unterstellt (Effekt der Reduktion der Preissteigerungsrate). Der Marktmechanismus sorgt also dafür, dass es tendenziell zu einer Gleichheit von Preisänderungsrate und Zinssatz kommt. Auch wenn die Vorräte zur Neige gehen, es herrscht stets ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ressourcenmarkt.

Die bittere Erkenntnis ist, dass an dieser Stelle der Markt und erst recht der Preismechanismus komplett versagen, weil die tatsächliche Knappheit mit den üblichen Marktmechanismen nicht gemessen werden kann. Es wird zwar die akute, nicht aber die zukünftige Knappheit gemessen. Der Preis signalisiert die absolute Knappheit von Ressourcen erst, wenn es längst zu spät ist und der Rohstoff zur Neige geht. Solange die Möglichkeit der Angebotsausweitung besteht, werden die Märkte durch kurzfristige Signale beeinflusst. Auch wenn die Märkte imstande sind, sehr viel Signale hinsichtlich der Knappheit von Wirtschaftsgütern zu verarbeiten und eine entsprechende Preisbildung zu realisieren, verhält es sich beim Öl und beim Gas ganz anders.

Das System kann nicht funktionieren, wenn der Preis beispielsweise in Rotterdam nach der relativen Knappheit in den Öllagern gebildet wird. Meistens wird Öl nach wie vor nach dem Over-the-Counter (OTC) Prinzip gehandelt, also findet die Preisbildung direkt zwischen Lieferanten und Händlern statt. Dieser unkontrollierte außerbörsliche Handel ist anfällig für Spekulationsblasen. Rohstoffmärkte, die nicht der Börsenkontrolle unterliegen, gehören deshalb verboten.

Resümee

Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf das Merit-Order-Modell[2] eingehen. Ich erspare mir auch eine Kritik an diesem zweifelhaften Modell. Ich habe mich auf die Energieknappheit fokussiert. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie sich Marktliberale, bewusst oder unbewusst, verbiegen können. Einerseits werden die Marktkräfte beschworen und andererseits wird ein wirklichkeitsfernes Marktmodell für die Preissetzung zugrundgelegt. Außerdem kommt hinzu, dass nun Regelungen über Preisdeckel die Misere heilen sollen. Dies muss doch ein Schlag ins Gesicht für Marktliberale, die an die Wunderkräfte des Preises als Knappheitsindikator glauben, sein. Selbst ein liberaler Ökonom und Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken (1891-1950), hat diese Wunderkräfte kritisiert. Laut Eucken misst der Preis lediglich akute, nicht aber künftige Knappheiten. Das bedeutet: Der Preis signalisiert die Knappheit von Rohstoffen erst dann, wenn es zu spät ist.

Bemerkenswert finde ich auch die Sichtweise von Richard Heinberg zur Versorgungslage: „Wenn sich die Brennstoffversorgung ernsthaft zu vermindern beginnt, wird es jedem vielleicht noch schlechter gehen, als wenn man diese Stoffe niemals entdeckt hätte, da unsere vorindustriellen Überlebensinstinkte inzwischen längst verloren gegangen sind und es zwischen den Mitgliedern der nun nicht mehr zu versorgenden Bevölkerung einen erbitterten Konkurrenzkampf um Nahrungsmittel und Wasser geben wird.“[3]

[1] Colin J. Campbell u.a., Ölwechsel, München, 2008, S. 109

[2] Die MeritOrder orientiert sich an den niedrigsten Grenzkosten, also der Kosten, die bei einem Kraftwerk für die letzte produzierte Megawattstunde anfallen.

[3] Richard Heinberg, Öl-Ende, München, 2008, S. 55

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