Gas-Ende

12. März 2022

„Diese Art und Weise macht […] den relativen Wohlstand und, im entgegengesetzten Falle, den relativen Uebelstand aus.“ (Johann Jacob Hottinger, Theophrast´s Characterschilderungen (1821)) 

Die Autofahrer reiben sich die Augen, die Haushalte schauen sich geschockt ihre Erdgasrechnungen an und die Stromkunden befürchten ebenfalls Preissteigerungen in einem nie gekannten Ausmaß. Die Medien suchen die Schuld bei Putin und seinem abscheulichen und menschenverachtenden Krieg. Häufig wird auch behauptet, dass der Krieg in der Ukraine jetzt dazu führen müsse, die Versorgungssicherheit mit Erdgas sicherzustellen, der Klimaschutz muss sich deshalb mal wieder hintenanstellen. Trotz alledem scheint aber das Motto zu gelten: „So kann es nicht weitergehen – also lasst uns so weitermachen.“ (Stephan Lessenich)

Zweifellos muss der Ukraine-Krieg, der durch den Aggressor Putin begonnen wurde, auf das Schärfste verurteilt werden und die westliche Welt tut gut daran, entsprechende Sanktionen auszusprechen und den Flüchtlingen zu helfen. Eine uneingeschränkte Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung ist unerlässlich. Es ist aber auch erforderlich, die Erdgassituation aus dem Blickwinkel der allgemeinen Knappheit, die aus der Natur resultiert, zu erfassen. Der Steigerungsimperativ des Kapitalismus kommt an seine Grenzen und eine uneingeschränkte Naturausbeutung ist nicht mehr tragfähig. Dies wird vielen Menschen in Deutschland bezüglich der Erdgasproblematik und den steigenden Benzinpreisen sehr bewusst.

Zur Geologie der Erdgasentstehung

Die Natur hat vor vielen Millionen Jahren angefangen, bestimmte Rohstoffe zu produzieren. Der größte Teil des Kohlenstoffs (Kohle, Erdöl und Erdgas) wurde in zwei Phasen der globalen Erwärmung gebildet, vor 90 Millionen und 160 Millionen Jahren. Vor circa 160 Millionen Jahren wurde Sonnenenergie in Form von fossilen Brennstoffen in der Erde gelagert. Dies ist die konzentrierte Sonnenenergie der Urzeit, die im Laufe von Jahrmillionen in das Erdinnere »gewandert« ist und dort gespeichert wurde.

Organische Kohlenstoff–Ketten können sich nur bilden, wenn es irgendwann auf der Erde eine intensive und konzentrierte Algenblüte gab. Die Voraussetzungen dafür gab es vor circa 160 Millionen Jahren. Es herrschte auf der Erde eine sehr hohe Temperatur an der Wasseroberfläche, somit konnte der kontinuierlich entstehende Algennachwuchs ernährt werden und Rohöl konnte sich ausbilden. Für die Entstehung von Erdgas waren indes Pflanzen und Humus nötig. Dieses organische Material sank im Laufe der Zeit, beispielsweise durch tektonische Bewegungen, in die Erde ein.

Mit dem Absinken des organischen Materials steigt die Temperatur unter der Erdoberfläche um circa 3 Grad Celsius pro 100 Meter. Das Material sinkt tiefer und tiefer und wird allmählich, aufgrund des Drucks und der Temperatur, gekocht. Das Ölfenster liegt ungefähr bei 2000 Meter, hier kann unter bestimmten Bedingungen aus dem organischen Material Öl entstehen. Falls das Material den Sinkflug durch das Ölfenster fortsetzt, gelangt es in einer größeren Tiefe. Durch die hohen Temperaturen brechen hier die Ölmoleküle auseinander und es kann kein Öl mehr entstehen. Die Kohlenwasserstoffmoleküle werden aber in dieser Zone in Gas umgewandelt.

Die Öl- und Gasfelder der Erde haben grundsätzlich die gleichen Förderprofile. Der Lagerstättendruck wird erheblich nachlassen, wenn ungefähr die Hälfte des Öls entnommen ist. In diesem Moment ist das Fördermaximum (peak) erreicht. Dies gilt im Wesentlichen auch für die Erdgasförderung. Durch künstliche Druckerhöhung kann der Versuch unternommen werden, die Förderrate noch eine gewisse Zeit aufrechterhalten zu lassen. Hier kommt dann die Hochrisikotechnologie Fracking zum Einsatz. Chemikalien, Polymere, Dampf, CO2 oder Mikroben werden nun mit hohem Druck eingespritzt, um die Nutzungsrate zu erhöhen. Dies ist ökologisch zweifelhaft, weil giftige Chemikalien in die Erde verbracht werden, das Grundwasser verseucht werden kann, die Erdbebengefahr steigt regional und Methan entweicht unkontrolliert an den Bohrlöchern. Außerdem wird sehr viel Energie verbraucht. Irgendwann wird auch solch ein Gasvorkommen zur Neige gehen und die Ernte wird sukzessive zurückgehen, denn nach dem peak nimmt die mögliche Fördermenge immer stärker ab. Dieser Sachverhalt lässt sich auch wissenschaftlich mithilfe der Kennziffer EROI ermitteln. EROI steht für Energy Returned on Energy Invested, oder einfach ausgedrückt: Erntefaktor. Die Ausbeutung einer Energiequelle ist dann ökonomisch sinnlos, wenn für die Förderung mehr Energie aufgewendet werden muss, als man aus dieser Quelle herausholen kann. Im Jahre 1916 betrug dieses Verhältnis bei der Ölförderung noch 28 zu 1. Es reduzierte sich im Jahr 1985 auf 2 zu 1, seitdem verkleinert es sich sukzessive. Die technisch förderbaren Reserven sind dann ökonomisch wertlos und ökologisch sinnlos. Glücklicherweise ist der EROI bei der Gasförderung aber wesentlich höher. Negativ hingegen ist die Fördermethode Fracking bei der Erdgasförderung. Beim Fracking wird besonders deutlich, dass die Unternehmen der Öl-, Gas- und Kohleindustrie sich mehr für kurzfristige Profite interessieren als für das langfristige Überleben der Menschen auf diesem Planeten. Außerdem würde man diese zweifelhafte Methode nicht zum Einsatz bringen, wenn noch ausreichend Gas und Öl vorhanden wäre.

Das russische Gasfeld Urengoi

Da die meisten geologischen Becken sowohl Muttergestein für Öl als auch für Gas enthalten, ähneln die Gasfunde dem Muster der Ölfunde. Fossile Brennstoffe unterliegen beim Abbau dem Gesetz der abnehmenden Erträge, also werden die Erdgasfunde tendenziell geringer werden. Der Geologe Colin J. Campbell prognostizierte schon vor 15 Jahren, dass das Fördermaximum des Gases weltweit spätestens zwischen 2020 und 2030 überschritten wird.

Das Gasfeld »Urengoi« ist das größte zusammenhängende Erdgasvorkommen der Welt (8,5 Billionen Kubikmeter). Es liegt südlich des arktischen Polarkreises in Sibirien. Es wurde im Juni 1966 entdeckt und die Erdgasproduktion begann im Jahre 1978. Derzeit werden etwa 200 Milliarden m3 Erdgas jährlich gefördert. Die Förderung von Erdgas ist, im Gegensatz zum Öl, relativ einfach und der größte Kostenblock stellt der Transport dar. Das Gasfeld »Urengoi« wurde damals, um den Bedarf zu decken, so schnell wie möglich an das Maximum der Produktion gebracht. Die Konsequenz war, dass im Jahre 1989 das Produktionsmaximum erreicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde erst ein Drittel der förderbaren Gasmenge ausgebeutet. Da der Peak schon vor 40 Jahren erreicht wurde, geht seit dieser Zeit die Produktion Jahr für Jahr zurück. Dies trifft auch für die großen russischen Gasfelder »Medveshiskoe« und »Jamburg« zu. Die drei genannten Gasvorkommen tragen zu über 90 Prozent zur russischen Gasförderung bei. Die anderen Gasfelder in Russland liegen in schwer zugänglichen Regionen. Erschwerend kommt hinzu, dass neue Gasquellen „heute schon im ersten Förderjahr eine durchschnittliche Erschöpfungsrate von 56 Prozent“ [1] haben.

Im Gegensatz zum Erdöl spielt das Erdgas in Deutschland nicht nur eine bedeutende Rolle für Heizzwecke, sondern ist auch maßgeblich an der Stromerzeugung beteiligt. Der Ölverbrauch in Deutschland stagnierte bzw. reduzierte sich in den letzten 30 Jahren, während der Erdgasverbrauch in dieser Zeit um knapp 35 Prozent zunahm. Gerade in Deutschland spielt Erdgas für die Stromerzeugung eine wesentliche Rolle. Außerdem ist Erdgas für die Herstellung von Kunstdünger unerlässlich. Das Haber-Bosch-Verfahren wird schon seit vielen Jahrzehnten zur Herstellung von Stickstoffdünger eingesetzt.

Resümee´ 

Möglicherweise verhält sich Putin ähnlich wie Scheich Salman Ibn Saud aus Saudi-Arabien, der Jahr für Jahr immer die gleichen Ölreserven vermeldet. Die englischsprachige Handelszeitschrift »Oil & Gas Journal« hatte bereits im Jahr 1998 nachgewiesen, dass 60 Länder unglaubhafte Zahlen veröffentlichen. Die physikalische Unmöglichkeit besteht darin, dass mit zunehmender Ausbeutungsrate eines Gas- oder Ölfeldes die Bestände nicht abnehmen. Beim Öl und beim Gas scheint die Physik nicht zu gelten, sondern es werden ausschließlich zweckdienliche und manipulierte Zahlen von den betreffenden Unternehmen oder Staaten veröffentlicht.

Der Club of Rome gab in seinem Buch »Die Grenzen des Wachstums« im Jahre 1972 die natürlichen Gasvorkommen weltweit mit 32.300 km3 an und schloss auf einen statischen Index von 38 Jahren. Diese Zahl wurde in der Folgezeit häufig korrigiert, weil der technologische Wandel dazu führte, die Felder effizienter auszubeuten. Auch wurden seitdem kleinere Gasfelder entdeckt. Man sollte sich aber davor hüten, diese Angabe als unwahr zu bezeichnen, sondern davon ausgehen, »dass ein unvermeidlicher Strukturbruch auf einem höheren Abhängigkeitsniveau erfolgen wird« (Colin J. Campbell).

Berichte, Hochrechnungen und Statistiken ignorieren geologische und ökonomische Zusammenhänge und rechnen die förderbaren Gasmengen einfach zusammen, ohne die Produktionskosten, die technischen Verfügbarkeiten, die Qualitäten und die Konsequenzen für die Umwelt, insbesondere für den Klimawandel, zu bedenken. Auch lohnt es sich ökonomisch nicht, eine Quelle auszubeuten, wenn die Kosten des Energieinputs höher sind als die des Energieoutputs. Verlässliche Zahlen gibt es nicht und die Despoten, Autokraten und Diktatoren glauben nur den Statistiken und Hochrechnungen, die sie selbst gefälscht haben. Ob die Gasvorräte noch für mehrere Jahrzehnte reichen, darf also bezweifelt werden. Zumal gerade die ökonomischen Berechnungen fehlerbehaftet, spekulativ, interessengeleitet und deshalb auch nicht objektiv sind. »Wie kann man bereitwillig Wirtschaftstheorien als »objektiv« bezeichnen, die sich als unfähig erweisen, in ihre Kalkulation die wachsende Knappheit der Ressourcen einzubeziehen, wo doch gerade eines ihrer Ziele darin bestand, deren Auszehrung vorauszuberechnen?« (Bruno Latour) Aber schlussendlich dürfen wir, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen, ohnehin keinen Kohlenstoff mehr aus der Erde holen. Dies wird aber schwierig, weil die Wertschöpfung moderner Industriegesellschaften zu über 75 Prozent von der Ausbeutung der fossilen Energiespeicher Kohle, Erdgas und Erdöl abhängen.  Deshalb ist es an der Zeit die »Effizienzdebatte« durch eine zielführende »Suffizienzdebatte« zu ergänzen.

[1] Richard Heinberg, Öl-Ende, München, 2008, S. 216

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