Physikalisch betrachtet bedeutet Energie Arbeitsvermögen. Arbeit ist Kraft mal Weg, also wieviel Energie wird benötigt, um Stoffe zu transportieren und umzuwandeln. Die häufig propagierte Kreislaufwirtschaft ist zwar bei vielen Stoffen möglich, stößt aber bei der Energie an Grenzen. Wegen der Entropie kann es keine Regenerativität geben und somit können keine tatsächlichen Kreisläufe entstehen. Energie kann nicht verbraucht werden, sie wird lediglich, beispielsweise in Wärme, umgewandelt. Der Terminus Energieverbrauch hat sich in unserem Sprachgebrauch aber eingebürgert. Neben diesem Begriff habe ich Probleme mit dem Ausdruck Erneuerbare Energie. Energie kann sich nicht erneuern. Es ist wohl so gemeint, dass diese Energie ständig zur Verfügung steht, weil Sonne und Wind immer da sind. Ob sich der Wind weiterhin so verhält wie wir es gewohnt sind, hängt aber davon ab, wie wir den Klimawandel in den Griff bekommen. Kein Mensch kann verlässlich vorhersagen, was mit dem Wind geschieht, wenn zum Beispiel die häufigste Wolkengattung in Mitteleuropa, Stratocumulus, bei einer bestimmten CO₂-Konzentration abrupt verschwindet. Viele Menschen haben zum Klimawandel und auch zur Energie ein merkwürdiges Verhältnis, weil sie sich nicht darüber klar sind, wie viele Energiesklaven sie beschäftigen.
Die Wirkmächtigkeit
Das folgende Beispiel stammt von Ron Oxburgh, ehemaliger Präsident von Shell. Um die Wirkmächtigkeit der Energie darzustellen, habe ich folgendes Szenario der Autowelt gewählt:
Wir verfügen über einen handelsüblichen PKW. Das Gewicht des PKWs beträgt 1500 kg. Fünf Personen, die im Durchschnitt 75 kg wiegen, sitzen im PKW. Zum Gewicht vom PKW kommen also noch 375 kg dazu, sodass das Gesamtgewicht 1875 kg beträgt. Der handelsübliche PKW hat einen Benzinverbrauch von 6,5 Liter (l) / pro 100 Kilometer (km). (Anmerkung: Das Beispiel ist an dieser Stelle schon unrealistisch. Eine Vielzahl der in Deutschland zugelassenen Autos sind SUVs, die bedeutend mehr wiegen und vermutlich auch einen wesentlich höheren Benzinverbrauch haben.) Die fünf Personen wollen mit diesem PKW einen 2000 Meter (m) hohen Berg hinauffahren. Da wir den Berg nicht direkt »bezwingen« können, müssen die Serpentinen mitberücksichtigt werden. Dadurch verlängert sich der Weg auf 5 km und der Benzinverbrauch steigt auf 10 l / pro 100 km. Wir verbrauchen also (5 km/100 km) * 10 l = 0,5 l. Das entspricht einem großen Bierglas. 0,5 l Benzin kosten circa 0,90 Euro (bei einem unterstellten Benzinpreis von 1,80 Euro pro l). Die Energieleistung ist so stark, dass sie eigentlich einen extrem hohen monetären Wert haben müsste. Für 0,90 Euro transportieren wir ein Gewicht von 1875 kg einen 2000 m hohen Berg hinauf. Wenn wir das mit dem Produktionsfaktor Arbeit in Relation setzen, könnte dieses Beispiel folgendermaßen weitergehen: Eine Schulklasse mit 30 Schülerinnen und Schülern bekommt den Auftrag, einen mit fünf Personen besetzten 1875 kg schweren PKW einen 2000 m hohen Berg ohne Hilfsmittel hochzuschieben. Der Gesamtlohn entspricht den Energiekosten des Benzins, nämlich 0,90 Euro. Da die Klasse aus 30 Schülern besteht, bekommt jeder Schüler für diese Arbeit 0,03 Euro, nicht als Stundenlohn, sondern für die gesamte Arbeit. Wer dieses Beispiel für unrealistisch hält, kann die oben genannten Zahlen beliebig variieren, niemand wird nur annähernd den Mindestlohn verdienen.
Dieses Beispiel ist sehr nützlich, um die menschliche Kraft mit der Energieleistung des Öls zu vergleichen. Wir benötigen mittlerweile eine Vielzahl von sogenannten »Energiesklaven«, die wir jeden Tag 24 Stunden arbeiten lassen, um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten. Kohle, Erdgas und Erdöl sind sowohl ökonomisch als auch technisch die idealen Träger von Arbeitsvermögen. Ein Barrel Öl (= 159 Liter) enthält die gleiche Energieleistung eines Arbeiters, der 25.000 Stunden arbeitet.[1]
Billiger geht es nicht. Die Natur stellt uns diese sehr begrenzte fossile Energie zur Verfügung und die Menschheit lechzt nach immer mehr, obwohl bekannt ist, dass dieses Verhalten direkt in die Klimakatastrophe führt. Die fossilen Energiequellen müssen in der Erde bleiben. Aber Energiesklaven sind doch so praktisch. Um drei Minuten zu duschen, müsste man die Energie aufbringen, die zehn Stunden Fahrradfahren entspricht. Ein ähnliches Beispiel hat der bekannte Physiker Harald Lesch in einer seiner Wissenschaftssendungen gebracht und daraufhin kommentiert: »Wir haben jedes Maß verloren … Im Grunde gehen wir mit einer ganz kindlichen Sorglosigkeit in die Zukunft.«[2]
Die vom Physiker Hans-Peter Dürr, einst Mitarbeiter Werner Heisenbergs, später Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in München, Mitglied des Club of Rome und Träger des Alternativen Nobelpreises, propagierte 1,5 kW-Gesellschaft muss umgesetzt werden. Demnach ist der Primärenergieverbrauch pro Kopf von nur 1,5 kW pro Stunde zulässig, um die Energieprobleme zu lösen. In der westlichen Welt lässt jeder Mensch ungefähr 60 Energiesklaven[3] für sich arbeiten. Wir müssen uns von unseren Energiesklaven wohl verabschieden und mit der Erkenntnis zu leben lernen, dass „Verluste schmerzhaft [sind], wenn das, was man verliert, ein wichtiger Teil der eigenen Identität war“ (Andreas Reckwitz). Deshalb ist es umso wichtiger, dass Menschen sich befähigen, verkleinerte Ökonomien zu gestalten, um auf diesem Wege ein gutes Leben zu erhalten. Mit einer positiven Einstellung zur Suffizienz (Minimierung des Konsums) und zur Subsistenz (mehr Regionalökonomie, weniger industrielle Produkte) kann dies gelingen.
[1] Vgl. Udo Köpke, Die Vergötterung der Märkte, Marburg, 2018, S, 35
[2] Süddeutsche Zeitung, 19.10.2021, S. 35
[3] Hans-Peter Dürr beschreibt unseren Umgang mit der Energie zutreffend und nutzt den Ausdruck Energiesklave. Ein Energiesklave ist das Äquivalent einer Viertel Pferdestärke (PS) und arbeitet ohne Unterbrechung zwölf Stunden am Tag.