Die Natur ist nicht sprunghaft

28. März 2020

„Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, wir leben über die Verhältnisse der anderen.“

Stefan Lessenich,  Neben uns die Sintflut, München, 2016, S. 196.

Ich werde nun meine tägliche „Berichterstattung“ einstellen und mich wieder anderen Themen widmen und diese dann, wie gewohnt, einmal wöchentlich, oder vielleicht auch häufiger, auf dieser Homepage veröffentlichen. Das ökonomische Wachstum habe ich die letzten Tage kaum behandelt. Hier liegt eigentlich mein Kernanliegen. Heute wird das Wachstum kaum noch in der Realwirtschaft erzeugt, sondern die sogenannten Finanzindustrie  generiert große Teile des Wirtschaftswachstums.[1] Echte Gewinne können nur aus der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entstehen. Die Finanzindustrie ist der Auffassung, dass sie ebenfalls Gewinne erwirtschaftet und Geld „verdient“. Diese Sichtweise teile ich nicht. Meine Meinung diesbezüglich ist eher bei den Ökonomen David Ricardo (1772-1823) und John Maynard Keynes (1883-1946) zu finden: Der Finanzsektor erwirtschaftet in der Regel keine Gewinne, sondern er erhält Renten. Leider wird in der Ökonomie die strikte Trennung der Begriffe Gewinne und Renten nicht mehr vollzogen. Zu dieser Thematik werde ich zukünftig ebenfalls einen Blog verfassen.

Zum Abschluss dieser (unstrukturierten und spontanen) zehn-teiligen „Reihe“ möchte ich noch ein Fazit ziehen.

Was bleibt?

Jetzt müsste noch die ursprüngliche Frage  beantwortet werden – Sind wir im Krieg? Ich meine nein, wir müssen zwar das Corona-Virus mit aller Kraft bekämpfen aber  wir müssen uns auch mit der Natur versöhnen. Wir haben uns zunehmend von der Natur entfernt und unsere ökonomischen Interessen vergöttert. Wir dürfen die Natur nicht als Fabrik begreifen, die man unendlich ausbeuten kann, sondern uns sollte klargeworden sein, dass sämtliche und wirklich alle materiellen Güter (Autos, Kühlschränke, Smartphones, Medikamente, Kleidung usw. usf.) aus der Natur kommen. Karl Marx hat die Rohstoffe vor 180 Jahren als „Gratisgeschenke“ bezeichnet, also sollten wir sehr sorgsam mit diesen Geschenken der Natur und auch mit der sensiblen Atmosphäre umgehen und die Werte der neoliberalen Ökonomie überprüfen und gegebenenfalls über den Haufen werfen, um dann vernünftige Werte zu bilden, die einer zivilisierten Gesellschaft würdig sind.

In jedem Fall muss der Washingtoner Consensus aus dem Jahre 1989 grundlegend überdacht werden.  Der Consensus bewirkte, dass die Märkte weltweit  privatisiert, dereguliert, entstaatlicht und liberalisiert wurden. Die Wirtschaft orientierte sich an kurzfristigen Gewinnerwartungen und Quartalszahlen. Staatliche Unternehmen wurden privatisiert und die Steuern wurden gesenkt, sie wurden sogar als schädlich deklariert und die Daseinsvorsorge, wie beispielsweise das Gesundheitssystem wurde von Betriebswirten gekappert und auf Rendite getrimmt. Viele Krankenhäuser mussten nun Gewinne erwirtschaften und die Kosten reduzieren. Glücklicherweise wurde dies in Deutschland nicht so radikal durchgesetzt wie in anderen Ländern. Trotzdem ist unser Gesundheitssystem alles andere als krisenfest.

Es gilt aber – nach der Krise ist vor der Krise. Ich bin, nach wie vor, der Auffassung, dass das größte Geschenk der Menschheit die stabile, aber sehr sensible, Atmosphäre ist, die unser Leben erst ermöglicht. Klimapolitik und ökonomische Interessen hin oder her, die CO2 – Konzentration steigt seit 70 Jahren an und wir sind aufgefordert, diesen Anstieg zu verhindern, um weiter auf dieser Erde leben zu können. Wie wir gegenwärtig auf die Virologen hören, sollten wir bei der CO2 – Konzentration ebenfalls auf die Klimaforscher hören und politische Schönmalerei entlarven. Ohne radikale Verhaltensänderungen wird es auch an dieser Stelle nicht gehen. „So gesehen heißt Verzichten in reichen Ländern – mit panzerartigen Trucks zum Distinktionskonsum und Aufräumratgebern zum beherzten Wegschmeißen – eigentlich nicht mehr und nicht weniger, als darauf zu verzichten, den Planeten zu ruinieren, und dafür die Lebensgrundlagen in der Zukunft zu erhalten.[2]  Vielleicht ist jetzt die Zeit, über die Zeit nachzudenken. Hier kann ich zwei Blogs anbieten: Die Beherrschung der Zeit  und Plädoyer für die Eigenzeit.

Es war eine neue Erfahrung für mich, jeden Tag einen neuen Blog zu erstellen. Ich werde jetzt entschleunigen und den Satz von Roger Willemsen beherzigen: „Das In-die-Irre-Gehen ist eine Grundbewegung des Denkens.“

Anmerkung:

Wer sich diese, von mir in den letzten Tagen geschilderten, Sachverhalte medial anschauen möchte, dem kann ich nur den Film von Al Gore „Eine unbequeme Wahrheit“ empfehlen. Wer etwas Neues benötigt, der schaue sich „das Kapitalozän“ von Harald Lesch  https://www.youtube.com/watch?v=BlXgHcd7tok auf Youtube an. Vor (gefühlt) 15 Jahren gab es auch einen Film auf Arte oder Phoenix mit dem Titel „Requiem für einen Rohstoff“. Dieser Zweiteiler beschreibt sehr gut die Kohlenstoffproblematik. Vielleicht ist er auf Youtube zu finden. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Büchern. Auch ist beispielsweise Charles Darwin mit seinem 1859 erschienen Buch Die Entstehung der Arten aktueller denn je. Darwin führt den Nachweis, dass die Natur sich nicht sprunghaft entwickelt, sondern in inkrementellen Schritten und somit stets auf vorangegangenen Änderungen aufbaut.

Bleibt gesund!

[1] Wenn diese Krise beendet ist, werden wir auf Wirtschaftswachstum setzen müssen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Aber es darf keinen Millimeter an bestehende und zukünftige Umwelt- und Klimaschutzgesetze gerüttelt werden. Fachleute sind der Auffassung, dass solche Krisen zukünftig häufiger stattfinden werden. Dann haben wir aber hoffentlich bestimmte Strukturen grundlegend verändert und dem Wachstumswahn tschüß gesagt.

[2] Maja Göpel, Unser Wunsch nach mehr, unsere Angst vor weniger, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/20, Berlin, 2020. S.103.

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