Irrtum Nr. 2: Prozess versus Kreislauf

15. Februar 2020

„The rise of cheap nature“

Jason W. Moore

Der Wirtschaftskreislauf wird als Modell dargestellt. Modelle bilden die Realität natürlich nur unzureichend ab, aber auch sie müssen wahr sein. Dies trifft beim Wirtschaftskreislauf nicht zu, da Wirtschaften grundsätzlich ein Prozess ist und kein Kreislauf. Dieser Prozess basiert auf einem Stoffwechsel mit der Natur, der darauf ausgerichtet ist, geordnete Materie und Energie unwiderruflich in ungeordnete Materie und Energie umzuwandeln. Dieser Sachverhalt wird im Wirtschaftskreislauf nicht korrekt abgebildet. Stattdessen wird unterstellt, dass die Unternehmen grenzenlos Güter produzieren können. Wegen des Gesetzes der Thermodynamik ist dieses naturwissenschaftlich nicht möglich. Den Zusammenhang zwischen Wirtschaftskreislauf und Thermodynamik habe ich im Blog Wirtschaftskreislauf  erklärt. Auch ist der Begriff Wirtschaftskreislauf problematisch, weil er mit einer Kreislaufwirtschaft verwechselt werden kann. In einer, von mir präferierten, Kreislaufwirtschaft ist neben den Thermodynamischen Gesetzen auch noch der naturwissenschaftliche Metabolismus zu betrachten.

Der naturwissenschaftliche Metabolismus

Der Metabolismus wird umgangssprachlich als Stoffwechsel bezeichnet, der die gesamten chemischen und physikalischen Vorgänge der Umwandlung chemischer Stoffe in Zwischenprodukte (Metaboliten) und Endprodukte im Organismus von Lebewesen umfasst. Durch diese biochemischen Vorgänge werden der Aufbau, Abbau und Erhalt der Körpersubstanz sichergestellt. Auch die Energiegewinnung für energieverbrauchende Aktivitäten (Energiestoffwechsel) erhalten die Körperfunktionen aufrecht. Wesentlich für den Stoffwechsel sind Enzyme, die chemische Reaktionen beschleunigen und lenken (katalysieren). Stoffwechselvorgänge lassen sich aber auch physikalisch deuten als Austausch von freier Energie gegen Ordnung. Pflanzen, Tiere und Menschen erhöhen in sich die Ordnung und verbrauchen dabei Energie. Während im Organismus der Lebewesen die Unordnung (Entropie) abnimmt, nimmt die Entropie in der Umgebung zu. Der metabolische Durchsatz beginnt also mit der Entnahme von Ressourcen aus der Ökosphäre mit geringer Entropie, dies impliziert eine hohe Struktur, und endet mit der Rückkehr von Abfällen, die eine hohe Unordnung darstellen.

Der gesellschaftliche Metabolismus

Die zeitgenössische Debatte um Stoffwechsel und Energie wurde, ausgelöst von Karl Marx, einer ersten gesellschaftswissenschaftlichen und ökonomischen Analyse unterzogen. Marx vertrat durchaus eine weitsichtige Haltung zur Natur, die aber in der historischen und politischen Betrachtungsweise wenig Beachtung fand.  Sowohl Karl Marx als auch Hannah Arendt vertreten die Auffassung, dass der gesellschaftliche Metabolismus verändert werden muss, um eine nachhaltige Lebensweise zu ermöglichen. Dies impliziert, dass insbesondere Industrieländer ihre metabolischen Durchsätze erheblich reduzieren müssen.[1] In keiner Gesellschaft zuvor wurden jemals derart große physische Bestände aufgebaut als in industriell geprägten Ökonomien, die dementsprechend sehr viel Material und Energie benötigen.

Es ist unstrittig – dieser Ressourcendurchsatz muss beschränkt werden. Um diesen Ressourcendurchsatz zu reduzieren stehen ökonomisch und physikalisch nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Einerseits könnte man auf den technischen Fortschritt vertrauen und eine Ressourceneffizienz anstreben und andererseits könnte man die Ressourcenbestände begrenzen indem Verzicht geübt wird. Und genau an dieser Stelle ist eine ökonomisch differenzierte Betrachtungsweise der physikalischen Bestände zielführend.

Hierzu ein Beispiel: Es ist naturwissenschaftlich kaum möglich, dieselbe Menge Fleisch mit weniger Viehfutter zu „produzieren“. Im Gegenteil – die „Fleischproduktion“ ist im hohen Maße ineffizient, weil die Relation zwischen Input und Output ökonomisch nicht zu vertreten ist. Also ist hier Verzicht  gefragt und der weltweite Fleischkonsum ist sehr stark zu beschränken. Politikerinnen und Politiker müssen, auch wenn es nicht populär erscheint, Verbote oder Teilverbote aussprechen. Dies erscheint problematisch, weil Politikerinnen und Politiker interessenorientiert handeln und (naturwissenschaftliche) Sachzusammenhänge gerne ignorieren.[2] Erwiesenermaßen führt aber eine zunehmende Fleischproduktion zu einer erhöhten CO2 – Emission. Wer sachgerechte, und nicht interessengeleitete, Politik verfolgt, muss an dieser Stelle Verbote oder Teilverbote aussprechen. Dass eine weitreichende Ernährungsumstellung nötig und auch möglich ist, wird durch eine Studie unter Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung vom 20.01.20 bestätigt.

Auf der anderen Seite ist es naturwissenschaftlich möglich, beispielsweise unsere Räume in den Gebäuden, dank des technischen Fortschritts, mit einem geringeren Energiedurchsatz gleichbleibend warm zu halten. Neben effizientere Heizungen und besserer Dämmung ist das deutsche Konzept der Passivhäuser hervorzuheben. Diese Häuser sparen bis zu 90 % des Energieverbrauchs. Hier muss dann auf die Ressourceneffizienz gesetzt werden. Eine sachgerechte Politik wird an dieser Stelle Gebote einführen und auf die „Heilkräfte“ des Marktes vertrauen, um dem Klimawandel zu begegnen.

Zusammenfassung

Eine differenzierte Analyse der materiellen Bestände und der Energie führt dazu, bei bestimmten Wirtschaftsgütern die Kräfte des Marktes zu nutzen, andere Bestände müssten staatlich gelenkt und der Öffentlichkeit übertragen werden und wieder andere Materialien sind entsprechend zu ächten und zu verbieten; es wäre fatal, nur auf die Marktlenkungsmechanismen zu vertrauen. Der Markt hat zwar ein sehr hohes Lenkungspotenzial, eine Vergötterung der Märkte  ist aber nicht erforderlich.

Um Ökologie und Ökonomie  miteinander zu versöhnen, müssen die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wesentlich stärker in der Ökonomie zur Anwendung kommen. Beim o.g. Beispiel zum Fleischkonsum sind Konsumeinschränkungen erforderlich, die auch zu Konsumverboten führen müssen. Beim o.g. Beispiel des Gebäudes lassen sich Energie- und Ressourcenbestände reduzieren. Hier sind dann technologische Ansätze zielführend und der Markt kann seine Allokationskräfte voll entfalten.

Sämtliche physikalischen Bestände gehören auf den naturwissenschaftlichen (und nicht auf den ökonomischen) Prüfstand und die Hauptverursacher des Klimawandels, die Industrieländer, müssen an vielen Stellen Verzicht[3] üben. Es gibt aber auch eine Fülle von Beständen, die durch den technischen Fortschritt effizient eingesetzt werden können. Natürlich ist der Rebound-Effekt  bei sämtlichen Betrachtungen der Bestände zu berücksichtigen. Wenn Ökonomen den metabolistischen Durchsatz für ihre Disziplin akzeptieren, müssen sie zwangsläufig auch die Thermodynamik anerkennen und eine radikale Transformations-Agenda fordern. Dies ist natürlich für die meisten Mainstream-Ökonomen eine große Herausforderung, weil sie damit ihre Wachstumsideologie in Frage stellen müssen. Die Wachstumsideologie gehört in die öffentliche Diskussion und die Befürworter sollten sich auch auf diesen Diskurs einlassen, weil sie wahrscheinlich erkennen werden, dass der Verlust von hohem BIP-Wachstum nicht zwangsläufig in den ökonomischen Kollaps und zur Verringerung von Arbeitsplätzen führt. Im Gegenteil, alles weist darauf hin, dass eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft mehr Arbeitsplätze bieten wird. Im Ãœbrigen ist die wachsende, und von der Industrie viel gepriesene, Digitalisierung der Wirtschaft auch keine Garantie für eine Vermehrung der Arbeitsplätze. Die zunehmende Digitalisierung wird wahrscheinlich eher Arbeitsplätze vernichten. Viele Unternehmer haben schon längst erkannt, wie sie das Narrativ der Transformations-Agenda für sich nutzen können. Sie verlegen, wie schon seit Jahren, ihre Produktionsstätten in Niedriglohnländer, weil da die Gewinnmargen wesentlich höher sind. Dieser  Begründungszusammenhang wird in der Öffentlichkeit aber nicht mehr wahrgenommen, denn die Unternehmen haben ein neues Legitimationsmuster für den Arbeitsplatzabbau für sich entdeckt – Elektromobilität, Digitalisierung und ökologischer Umbau.

[1] Die reichsten drei Industrieländer emittieren durchschnittlich 318 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr, während der Weltdurchschnitt circa 6 Tonnen pro Kopf und Jahr beträgt.

[2] Regierungen wollen natürlich die nächste Wahl gewinnen, deshalb werden Wahrheiten häufig nicht kommuniziert.

[3] Es geht an dieser Stelle natürlich nicht darum, armen Menschen  den Verzicht nahe zu bringen. Im Gegenteil, die Würde des Menschen ist unantastbar und arme Menschen verzichten schon genug. Außerdem ist der ökologische Fußabdruck reicher Menschen wesentlich größer.

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