Irrtum Nr. 3: Wettbewerb und Markt

23. Februar 2020

„Nachdem K. gestorben war, sagte sein Arzt: „Schade, ich hatte so auf die Selbstheilungskräfte gesetzt.“ Als von den Selbstheilungskräften der Märkte geredet wurde, brachten Tausende ihr Vermögen in Sicherheit.“

Dieter Hildebrandt, Letzte Zugabe, München, 2014, S.25.

Um lebende und andere offene Systeme zu verstehen, hat der Heisenberg – Schüler und Physiker Fritjof Capra[1] eine tiefgehende Analyse der Lebensphilosophie vorgenommen.[2] Capra beschäftigte sich unter anderem mit Charles Darwin und stellt die Theorien von Darwin in einen größeren Zusammenhang. Ökonomen tendieren häufig dazu, die Theorien von Darwin zu verengen und in ein wirtschaftliches Korsett  zu pressen. Für eine Gesellschaft wird es dann problematisch, wenn Darwin dahingebend interpretiert wird, dass reiche und erfolg“reiche“ Menschen das Gefühl der Ãœberlegenheit vermittelt bekommen. Die Abwertung von arbeitslosen und armen Menschen hat in der Gesellschaft leider stark zugenommen. Dies ist beschämend, weil reiche Menschen keineswegs leistungsfähiger sind und über einen überlegenen und tugendhaften Charakter verfügen, denn „Erfolg ist kein Name Gottes“ (Martin Buber).

Wettbewerb und Konkurrenz

Gerade neoliberale Ökonomen haben zweifelhafte sozialdarwinistische Ansichten, weil sie glauben, der Stärkere hat das Recht den Schwächeren zu dominieren. Leider wird der Ausspruch von Charles Darwin, nämlich „Survival of the fittest“, immer wieder falsch interpretiert. [3] Nicht der Stärkere überlebt, sondern das Lebewesen, das sich am besten der Natur anpassen kann. Der Ausdruck „Fit“ beschreibt also den Grad der Anpassung an die Umwelt bzw. an die Natur. Es geht in der Theorie von Darwin weder um die körperliche Stärke noch um die Durchsetzungsfähigkeit im Sinne einer Konkurrenzverdrängung. Auch ist es kein Naturgesetz, das der Stärkere grundsätzlich mehr zum gesellschaftlichen Reichtum beiträgt und demzufolge einen Anspruch auf ein höheres Einkommen hat. Häufig hört man die Aussage, dass beispielsweise Mark Zuckerberg von Facebook 30 Mrd. Dollar verdient hat. Solche Sprüche werden in der Gesellschaft toleriert und selten wird widersprochen. Mark Zuckerberg hat nicht 30 Mrd. Dollar verdient, sondern seine Mitarbeiter haben diese Leistung und demzufolge diesen Reichtum erarbeitet. Zuckerberg hat diese Geldsumme nur erhalten, weil (neoliberale) Ökonomen der Auffassung sind, dass der Markt die Leistungen und Fähigkeiten von Individuen korrekt und gerecht beurteilen kann und demzufolge auch eine gerechte Verteilung stattfindet. Das daraus resultierende Markteinkommen wird als moralisch gerecht angesehen, nach dem Motto: Wer viel verdient, hat auch viel geleistet und wer wenig verdient, hat auch wenig geleistet und demzufolge auch nicht mehr verdient. Die Realität stellt sich aber häufig gegenteilig dar. Pflegeberufe leisten viel für die Allgemeinheit und verdienen wenig, während Profifußballer wenig für die Allgemeinheit leisten aber sehr viel verdienen. Stimmt das gesellschaftliche Werteverständnis noch, wenn die wöchentliche »Arbeit« eines Profifußballers genauso viel wert ist wie die Arbeit eines Altenpflegers in fünf Jahren?

Häufig wird behauptet: Wenn sich alle anstrengen, sich bilden und etwas leisten, wird es keine Armut, kein Elend und auch keine Arbeitslosigkeit geben. Dies ist aber nicht möglich, da Konkurrenzsituationen auf dem freien Arbeitsmarkt immer dazu führen, dass es Gewinner und Verlierer gibt und zwangsläufig Armut reproduziert wird. Alle können es eben nicht schaffen. Die jahrelang umworbene neoliberale Leistungsgesellschaft entlarvt sich an dieser Stelle selbst.

Der Markt als Allheilmittel

Daraus folgt, dass auch die marktwirtschaftliche Zuteilungsform von Gütern zwangsläufig Gewinner und Verlierer hervorbringt. Wenn sich Wirtschaftsbetriebe (ausgenommen die Betriebe der Urerzeugung)[4] und Konsumenten gegenüberstehen, ist dies auch nicht weiter problematisch. Im Gegenteil, diese Zuteilungsform ist relativ gerecht, denn es gibt keine diskriminierungsfreie Marktwirtschaft. In einer Marktwirtschaft findet die Diskriminierung im Idealfall ausschließlich über den Preis statt. Dies wird von großen Teilen der Gesellschaft akzeptiert. Für eine Gesellschaft wird es aber dann schwierig, wenn die Zuteilung ausschließlich über den Markt läuft und suggeriert wird, dass alle den Aufstieg schaffen können, wenn sie sich nur anstrengen und bemühen. Dies ist aber nicht möglich, denn ohne Verlierer kann es keine Gewinner geben. Wenn die Güterzuteilungen über den Markt dazu führen, dass unerwünschte Ungleichgewichte entstehen, so muss der Staat eingreifen und möglicherweise die Preisgestaltung beeinflussen. Dieses ist dann unerlässlich, wenn die Existenzbedürfnisse (Wohnung, Kleidung, Nahrung und Arbeit) der Bevölkerung nicht mehr ausreichend befriedigt werden können. Beispielsweise sei hier auf die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland hingewiesen. Staatliche Eingriffe müssen auch dann erfolgen, wenn Märkte dazu neigen, außer Kontrolle zu geraten. Die Krisenanfälligkeit der Finanz- und Rohstoffmärkte  sind ein Beleg dafür. Auch der Klimawandel lässt sich nicht über marktwirtschaftliche Instrumente  begegnen. Wie ich an vielen Stellen schon betont habe, sind beispielsweise steuerliche Eingriffe  unerlässlich. Auch wenn neoliberale Ökonomen staatliche Eingriffe  ablehnen, der Staat ist gefordert tiefgreifende Änderungen vorzunehmen.

Viele Unternehmen haben glücklicherweise aber schon erkannt, dass der Markt und der Wettbewerb keine Allheilmittel sind und gravierende Nachteile entstehen können. Natürlich ist es auch für eine Unternehmung vorteilhaft, wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenseitig helfen und dadurch Prozesse effizienter gestalten werden können. Außerdem fühlen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohler, wenn der Wettbewerb durch die Zusammenarbeit ersetzt wird.

Resümee

Wie bereits in den vorhergehenden Blogs dargestellt, kann der Markt nur sehr bedingt die ökologischen Probleme lösen. Fälschlicherweise wird in der Ökonomie häufig unterstellt, dass sich automatisch Gleichgewichte einstellen. Adam Smith (1723-1790) sprach von einer unsichtbaren Hand  und John Maynard Keynes (1883-1946) hat eine komplexe Gleichgewichtstheorie entwickelt. Beide konnten natürlich nicht ahnen, welche massiven ökologischen Probleme im Jahre 2020 zu lösen sind. Deshalb ist es im Jahre 2020 erforderlich, das sich die ökonomische Disziplin vom Neoliberalismus verabschiedet und, neben der Beachtung der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge, sich auf ökonomische und ökologische Gleichgewichte fokussiert. Dieser Umbau der Wirtschaft ist erforderlich um folgendes Szenario abzuschwächen bzw. zu verhindern: „Längst stellen sich Militärs und Politiker wieder die Frage, wie Kriege führbar werden können – nicht zuletzt als Ressourcenkriege. Beim Kampf um das Öl ist das keineswegs neu,  bei den kommenden globalen Verteilungskämpfen wird es jedoch auch um Wasser, Ackerland oder Küstengebiete gehen – und damit für gr0ße Teile der Weltbevölkerung schlichtweg um ihre Existenzgrundlagen.“ [5]

Zum Abschluss noch einmal die philosophische Betrachtungsweise über vorbildliches Verhalten:

„Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wenn nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes Übel, so dass sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung von einander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.“

Artur Schoppenhauer (1788 – 1860)

Schopenhauer fährt in seinem Zitat fort:“ Dieses ist Höflichkeit und feine Sitte.“

[1] Fritjof Capra und Pier Luigi Luisi, The System View of Life, Cambridge University Press, 2014.

[2] Ende 1970 hat Capra mit seinem populärwissenschaftlichen Buch „Das Tao der Physik“ auch das Denken der Ökonomen beeinflusst. In unserer damaligen Wohngemeinschaft wurde darüber heftig diskutiert. Seitdem habe ich semantische Probleme mit dem Begriff »Umwelt«, der mir nicht gut gefällt. Er vermittelt den Eindruck, dass man selbst gar nicht zu dieser Umwelt gehört. Der Physiker Fritjof Capra hat in seinem Buch »Das Tao der Physik« treffend formuliert: »Wir können nicht von der Natur sprechen, ohne zugleich von uns zu sprechen.«

[3] Darwin hat mit dem Ausspruch „Survival oft he fittest“ nicht das „Überleben des Stärkeren“ in menschlichen Gemeinschaften gemeint. Der Vetter von Darwin, Sir Francis Galton, gilt als Vater der Eugenik und ist vermutlich an diesem Missverständnis nicht ganz unschuldig, denn Galton gehörte zu den Rassentheoretikern, auf die sich die Nazis berufen haben.

[4] Der Unterschied besteht an dieser Stelle darin, dass die Betriebe der Urerzeugung (primärer Sektor) eine Handelspartnerin haben, die mit Märkten überhaupt nichts zu tun hat; ihr ist noch nicht mal bewusst, dass sie Anbieterin ist, nämlich die Natur. Hier kann sich eigentlich kein Markt ausbilden. Da sämtliche materiellen Güter ausnahmslos aus der Natur kommen, funktioniert der Markt nicht, weil die Natur Anbieterin und Vertragspartnerin ist. Anders ausgedrückt: Die Preisbildung der Naturvorkommen lässt sich nicht nach den gleichen Spielregeln  vornehmen, wie sie bei den nachfolgenden Wirtschaftsstufen (sekundärer und tertiärer Sektor) möglich sind.

[5] Hans-Gerd Marian und Michael Müller, Der Kampf um Lebensraum, Braune Ideologen im Umwelt- und Naturschutz, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 02/20, 2000, S. 89.

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