„Wer sich erfüllen kann, was er mag, weiß bald nicht mehr, was er wünschen soll.“ (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften)
 Bereits im Jahre 1978 machte sich Rudolf Brun schon Gedanken über die Notwendigkeit des Konsumverzichts und er stellte einen Zusammenhang zum Arbeitsmarkt her. „Doch, auch wenn wir mehr Wachstum, sprich mehr Kaufkraft, schaffen würden, so wäre der gordische Knoten nicht durchgeschnitten. Mehr Kaufkraft soll Arbeitsplätze sichern, was aber Geldwert und Lebensqualität gefährdet. Eine stabile Volkswirtschaft hingegen ist ökologisch und sozial sinnvoll, macht aber viele arbeitslos.“[1]
Konsumverzicht? Ja, bitte
Diese Debatte über den Konsumverzicht ist also keineswegs neu, jetzt erscheint sie wieder auf der politischen Agenda. Bedingt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fordert der Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck die Deutschen zum Konsum- und Energieverzicht auf. Da diese Debatte von Umweltschützern bereits seit einem halben Jahrhundert geführt wird, ist sie, unabhängig vom Krieg in der Ukraine, längst überfällig. Die planetaren Belastungsgrenzen sind nicht nur erreicht, sie sind bereits in vielen Fällen überschritten. Kipppunkte (tipping points) haben die Eigenschaft, dass sie nicht mehr zurückgedreht werden können. Auch wenn sich die politischen Akteure weigern, muss eine schnelle Abkehr von den fossilen Brennstoffen erfolgen und die Konsum- und Produktionsmuster müssen sich tiefgreifend verändern. Um diese große Transformation zu schaffen, sind massive Einschnitte erforderlich und Verzicht und Verbote gehören zwangsläufig in die Debatte. Dass sich aber etwas ändern wird, darf aber bezweifelt werden. Selbst einfach zu realisierende Konsumänderungen stoßen gerade in Deutschland auf Widerstand, sei es das Tempolimit auf Autobahnen, der Verbot von Inlandsflügen oder die Verringerung des Fleischkonsums. Der FDP wählende deutsche Michel oder die deutsche Michelle wittern in diesem Zusammenhang die Einschränkung der Freiheit, die häufig nur auf die Freiheit des Konsums reduziert wird.
Neoliberale Ökonomen haben schon vor längerer Zeit den Begriff der Konsumentensouveränität eingeführt. Dieses Konzept beinhaltet nicht nur den individuellen und unbegrenzten Konsum, sondern enthält noch eine sozialwissenschaftliche Komponente. Der souveräne politische Bürger wird durch den Konsumenten abgelöst. Konsum wird zur geliebten Bürgerpflicht, um Arbeitsplätze zu erhalten und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Während in der „ungeliebten“ „Mehrheitsdemokratie individuelle Wünsche eingeschränkt werden können, ist das am Markt nicht der Fall. In puncto Freiheit, so die Neoliberalen, ist der Markt der Demokratie um Längen voraus. Wie schön ist doch eine Welt, in der man sich gar nicht am Allgemeinwohl orientieren muss, sondern ungestört nur an sich selbst denken darf!“ [2]
Dies sieht das Bundesverfassungsgericht glücklicherweise anders. Es hat kürzlich geurteilt, dass mit zunehmendem Klimawandel die Freiheiten der kommenden Generationen massiv eingeschränkt werden. Damit ist der Verzicht die erste Bürgerpflicht und die neoliberale Denkweise erhält eine rote Karte. Das neoliberale Weltbild von sich selbst genügenden Individuen, die die Märkte vergöttern, hat ausgedient. Eine Gesellschaft, die auf Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit gründet, muss nicht zwangsläufig eine Verzichts- und Verbotspolitik ablehnen. Selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger sollten sich nicht mehr nur auf den Konsumentenstatus reduzieren lassen und sich darauf besinnen, dass sie der Souverän (verfassungsgebende Gewalt) sind. Parlament und Regierung repräsentieren nur die verfasste Gewalt. Ähnlich verhält es sich in der Ökonomie, denn der Konsument ist souverän und er sollte sich von den Produzenten nicht treiben lassen. Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger schreibt in seinem neuesten Buch Der Wachstumszwang: „Immer weniger sind es ungesättigte Bedürfnisse, welche das Wachstum in entwickelten Volkswirtschaften antreiben, sondern das Bemühen der Unternehmer, stets neue Wachstumspotenziale zu schaffen. Rein technologisch ist dies kein Problem. Der Engpass liegt bei den Konsumenten, die von Treibern zu Getriebenen des Wachstums geworden sind, indem man ständig versucht, sie zu weiterem Konsum zu animieren.“ Dabei muss die Suffizienz als ersatzlose Reduktion begriffen werden. Eine Optimierung des Konsums ist nicht ausreichend und stellt auch keinen wirklichen Verzicht dar.
Da sich viele Branchen auf in ihrer Produktion auf billiges russisches Gas ausgerichtet haben und damit ordentliche Zusatzgewinne eingestrichen haben, ist nun eine weitreichende Veränderung angezeigt. Die besteht keineswegs darin, nur noch zwei Minuten am Tag zu duschen, sondern sämtliche industriellen Herstellungsweisen gehören auf den Prüfstand. Beispielsweise haben sich viele Menschen im globalen Norden daran gewöhnt, fast alle Güter in Kunststoff verpackt zu kaufen. Dies ist in mindestens dreifacher Hinsicht problematisch. Einerseits besteht Kunststoff aus fossilen Brennstoffen (Rohöl) und anderseits wird für die Kunststoffproduktion sehr viel Energie in Form von Erdgas benötigt. Des Weiteren werden die Weltmeere mit diesem Plastikmüll, der häufig nur der einmaligen Verpackung dient, verstopft. Warum schafft es ein Wirtschaft- und Klimaminister Robert Habeck nicht, hier die entsprechenden Gesetze auf den Weg zu bringen? Zumal die Nachfrage nach Kunststoff ununterbrochen steigt.
Noch einfacher wäre es, wenn die Geschäfte wieder um 18:00 Uhr schließen würden. Dies spart im Herbst und Winter eine Menge Erdgas ein und im Sommer und Frühling bleibt die Klimaanlage aus. Aber auch solch ein Ladenschlussgesetz wird der Wirtschaftsminister nicht gegen die Lobby des Einzelhandelsverbandes auf den Weg bringen. Deshalb muss darüber debattiert werden, ob die kleinste Konsumeinschränkung, vom Tempolimit ganz zu schweigen, tatsächlich ein Angriff auf die Konsumentensouveränität darstellt oder ob der Verzicht neue Freiheiten hervorbringt?
[1] Anders leben – überleben, Die Grenzen des Wachstums als Chance zur Befreiung, Frankfurt am Main, 1978, S. 5
[2] Philipp Lepenies, Verzicht als erste Bürgerpflicht: Gegen die Politik des Laissez-faire, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, 8`22, 2022, S. 64