Warum Volkswirte den Begriff Landnahme meiden

17. Juni 2022

„Die scheinbare Gesundheit unserer Ökonomie heute basiert darauf, zukünftigen Generationen Naturreichtum wegzunehmen.“ (George Mobiat) 

Der im Jahre 2013 verstorbene deutsche Soziologe Burkart Lutz verstand jeden Wachstumsschub kapitalistischer Ökonomien als Landnahme. Dieser Sachverhalt wird in den Wirtschaftswissenschaften nicht so klar und eindeutig formuliert. Traditionelle Volkswirte teilen den ursprünglichen Produktionsfaktor Boden  in An-, Abbau- und Standortboden auf. Der Anbauboden dient der Land-, Weiden- und Forstwirtschaft, während sich im Abbauboden die Rohstoffe befinden. Der Standortboden ist durch eine Zunahme der versiegelten Flächen gekennzeichnet. Um es klar zu formulieren – In allen Fällen liegt Landnahme vor, die für die Menschheit, maßvoll gestaltet, überlebenswichtig ist. Diese Landnahme ist, mit zunehmender Industrialisierung und Globalisierung sprunghaft angestiegen und die, in den Wirtschaftswissenschaften etablierten, End-of-pipe-Technologien der Industrie tragen dazu bei, dass es auch so bleiben wird. Eine End-of-pipe-Technologie (von engl. end of pipe: am Ende der Röhre) ist eine additive (nachträglich hinzugefügte) Umweltschutzmaßnahme. Sie verändert nicht den Produktionsprozess selbst, sondern verringert die Umweltbelastung durch nachgeschaltete Maßnahmen. Wenn dieser Sachverhalt auf die Natur übertragen wird, werden die Fehlentwicklungen sichtbar.[1] Anstatt die Natur zu zerstören, um sie hinterher notdürftig und unzureichend zu reparieren, sollte auf die Zerstörung und die Landnahme weitestgehend verzichtet werden. Um die Klimaziele zu erreichen, muss diese Landnahme auf ein ökologisch verträgliches Maß heruntergefahren werden.[2]

Das Pariser Klimaschutzabkommen

Man könnte meinen, dass dieser Sachverhalt im Pariser Klimaschutzabkommen geregelt wurde. Leider nein. »Tatsächlich taucht das Wort Kohle im Paris-Abkommen nicht auf. Auch die Begriffe Öl oder Gas sucht man vergeblich. Einzig ein kleiner Paragraf findet sich, in dem auf Drängen einiger lateinamerikanischen Staaten vermerkt wurde, dass es auch Klimaschutzmaßnahmen geben müsse, die nicht über Märkte geregelt würden.»[3]

Zwar ist im Pariser Klimaschutzabkommen das 4-Promille Ziel aufgeführt, dieses wird aber kaum thematisiert. Wenn der Humusboden  weltweit jedes Jahr um 4-Promille wachsen würde, könnte das Klima wirksam geschützt werden. Die Realität sieht aber anders aus. Die Wissenschaftler des Thünen-Instituts gehen davon aus, dass in Deutschland jährlich 1,5-Promille Humusboden verloren gehen, beispielsweise weil Moore entwässert werden. „Weltweit speichern Moore auf nur drei Prozent der globalen Landfläche doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder zusammen.“[4] In Deutschland stellen Moore die größte Kohlenstoffsenke dar. Demzufolge sind trockengelegte Moore sehr große  CO2-Schleudern. Außerdem nimmt in Deutschland die Verdichtung des Bodens mit sechzig Hektar Flächenfraß täglich zu und die industrielle Landwirtschaft verdichtet und vergiftet den Boden zusätzlich. Durch diese zunehmende Landnahme wird das 4-Promille Ziel konterkariert und damit ist auch das 1,5 Grad Ziel gefährdet.

Und was macht die Politik?

Gegenwärtig gibt es in Deutschland keine Partei, die den Bürgern bezüglich des Klimawandels klaren Wein einschenkt. Weder die Selbstheilungskräfte des Marktes hinsichtlich des Klimawandels noch die Kohlenstoffmisere´ werden angezweifelt. Stattdessen gibt es zweifelhafte Tankgutscheine in Form von Steuerermäßigungen und das Versprechen, dass bald alles wieder so wird, wie früher, also v.C. (vor Corona). Ob die Steuerermäßigungen beim Tanken auch tatsächlich von den Mineralölkonzernen an die Verbraucher weitergegeben werden, steht in den Sternen. Die Gefahren von Waffenlieferungen an die Ukraine werden kleingeredet, währen die Bedenken gegen ein Öl- und Gasembargo zunehmen, denn die Unternehmen fürchten einen Rückgang des Wirtschaftswachstums. Inzwischen ist aber allgemein bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem hohen Energiebedarf, einem übersteigerten Konsum, der die Natur nachhaltig schädigt und dem Wirtschaftswachstum gibt.

Der ehemalige Präsident der USA, Donald Trump, leugnete den Klimawandel und er fand es unerträglich, dass der Naturreichtum  nicht zügig ausgebeutet wird, denn es geht um sehr viel Geld. „Die Barclays Bank schätzt, dass die Begrenzung der Emissionen auf 2 Grad Celsius in den nächsten 25 Jahren einen Rückgang der künftigen Einnahmen der Öl-, Kohle und Gasindustrie von 33 Billionen USD verursachen wird.“[5] Wenn das Rohöl in der Erde bleibt, so Trump, werden diese Vermögenswerte „vernichtet“. Dies hat er als ökonomischen Wahnsinn bezeichnet. Natürlich ist das kein Wahnsinn; die Rohstoffe werden nicht vernichtet, sondern zukünftigen Generationen zur Verfügung gestellt. Solch ein Vorgehensweise nennt man nachhaltig. Nach der ökonomischen Logik ist aber auch klar, dass „Brennstoffe, die nicht verbrannt werden können, nicht viel wert sind.“ (Alex Steffen)

Die Bundesregierung hingegen bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Pariser-Klimaschutzabkommen. Neben dem 1,5 Grad Ziel muss gleichzeitig das 4 Promille Ziel erreicht werden. Da beide Ziele untrennbar miteinander verknüpft sind, muss die Landnahme, und damit auch die Öl- und Gasausbeutung, zurückgefahren werden. Da der „Ausstieg aus der Wachstumsideologie sowieso ansteht“ (Olivia Mitscherlich-Schönherr), sollten nun die guten Konzepte verschiedener Post-Wachstums-Initiativen und Gemeinwohlökonomen aus den Schubladen gezogen werden. Wenn nicht jetzt, wann dann. Die Zeit der Billigressourcen (billige Natur, billige Energie und billige Arbeit) scheint endgültig abgelaufen zu sein.

[1] „Solche Fehlentwicklungen sind Ausdruck eines ökologischen Bruchs, den Marx und Engels in seiner Ursprungsform durchaus gesehen haben. Um diesen Bruch zu analysieren, nutzt Marx den Metabolismusbegriff, den er von dem Chemiker Justus von Liebig übernommen hat.“ (Klaus Dörre, Die Utopie des Sozialismus, Berlin, 2021, S. 59)

[2] Außerdem werden die ökonomischen Kosten für die Inwertsetzung von „Neuland“ immer größer und die Rohstoffe befinden sich zunehmend in fragilen Umweltsystemen.

[3] Susanne Schwarz, Ein Handel mit der Zerstörung, in: der Freitag, Nr. 48 vom 28. November 2019, S. 14

[4] Ingrid Wenzl, Feuchtgebiete, in: der Freitag vom 21. April 2022, Nr. 16, S. 15

[5] Ernst Ulrich von Weizsäcker, Wir sind dran, Club of Rome, Der große Bericht, München, 2019, S. 253.

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