„Jede Infektionskrankheit ist von ihrem Wesen her ein ökologisches System.“
 (Richard S. Ostfeld)
Es ist mal wieder ein persönlicher „Geburtstag“ fällig, denn seit genau zwei Jahren betreibe ich diese Homepage. Davon wurde ein ganzes Jahr vom Coronavirus überschattet. Ich habe mich in sehr vielen Blogs mit dem Verhältnis von Ökonomie und Ökologie beschäftigt und bin teilweise sehr tief in die Historie eingetaucht. Dabei habe ich stets herausgestellt, dass sich die Erkenntnisse von Charles Darwin und von Alexander von Humboldt mit meinem Naturverständnis weitestgehend decken. Sozialdarwinistisches Gedankengut, dass auch in den Spätschriften Friedrich Nietzsches zu finden ist, lehne ich allerdings entschieden ab. Gerade in Zeiten von Corona sollte man sich an Darwin erinnern, der feststellte, dass der Mensch ein Tier sei. Der Mensch ist untrennbar mit anderen Tieren verbunden. Dies gilt nicht nur für Ursprung und Abstammung, sondern auch für Krankheiten und Virenübertragungen.
Zoonosen
Man spricht von einer weltumspannenden Zoonose, wenn eine Krankheit, die ihren Ursprung in Wildtieren hat auf den Menschen überspringt. Der Begriff leitet sich aus den griechischen Wörtern zoon (Lebewesen) und nosos (Krankheit) ab. Seit den 1980 er Jahren beobachten Biologen eine stärkere Dynamik bei den Infektionen. Sowohl globale Lieferketten als auch der zunehmende Tourismus ermöglicht es den Viren, Bakterien und Parasiten sich rasch über den Planeten zu verteilen.  Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass der nächste Spillover“ (englisch „Überschwappen, Überspringen“) nur eine Frage der Zeit ist und der Begriff „Zoonose“ wird uns wahrscheinlich zukünftig häufiger begegnen. Corona, Ebola, SARS, MERS, die Pest, die Spanische Grippe, alle Formen der Grippe, Rindertuberkulose, Borreliose, West-Nil-Fieber, Tollwut, Hantavirus, Milzbrand – das sind alles Zoonosen, wobei die exemplarische Aufzählung sehr unvollständig ist. All diese Erreger, die häufig das Genom aus RNA tragen, sind im Stande, von Tieren auf Menschen überzuspringen. Selbst AIDS hat zoonotische Ursprünge.
Viren, die nicht-zoonotisch sind, lassen sich wesentlich leichter beherrschen. Beispielsweise wurde das nicht-zoonotische Poliovirus, dass die Kinderlähmung verursacht, durch eine flächendeckende Impfkampagne in den 1960er Jahren bekämpft. Nicht-zoonotische Viren können sich nicht verstecken, da sie nur Menschen infizieren können. Insofern hatte man in den 1960er Jahren ein relativ leichtes Spiel, denn diese Virenart ist leichter zu bekämpfen. Paramyxoviren, die die Masern verbreiten, sind ebenfalls nicht-zoonotisch. Zoonotische Erreger, wie beispielsweise das Corona-Virus, können sich verstecken und das macht die Bekämpfung so problematisch. Der Hauptwirt des Virus, beispielsweise eine Fledermaus[1], erkrankt in der Regel nicht. Damit hat das Virus immer noch Rückzugsorte, wenn eine Pandemie rückläufig ist. Irgendwann ergeben sich dann wieder Gelegenheiten und „Wind und Schicksal“ (David Quammen) wehen das Virus wieder in die menschliche Nähe. Oder die Menschen kommen in die Nähe des Virus, denn Fledertiere haben ihre Schlafplätze in Mangroven oder auch im Geäst der Regenwälder. Menschliche Aktivitäten sorgen dafür, dass „natürliche Ökosysteme mit katastrophaler Geschwindigkeit zerfallen“ (David Quammen), mit der Konsequenz, dass sich der zoonotische Spillover in den nächsten Jahren verstärken wird. Das Corona-Virus wird also bleiben, weil sich immer wieder Wirte finden und Zoonosen sich kaum ausrotten lassen. Die Zeiten, wo Rechnungen ohne den Wirt gemacht werden, sind vorbei.
Coronaviren
Die Virusfamilie Coronaviridae werden umgangssprachlich Coronaviren genannt, sie gehören zu den RNA-Viren und sind somit sehr wandlungsfähig. RNA-Viren mutieren wesentlich stärker als DNA-Viren[2] und sie können sich sehr schnell anpassen. Während DNA-Viren träge sind, mutieren RNA-Viren wie wild. Mitte der 1950er-Jahre wurden die ersten Coronaviren durch die britische Virologin June Almeida entdeckt. Wenn die Viren durch ein Elektronenmikroskop betrachtet werden, fällt auf, dass sie wie eine Sonnenkorona aussehen. Corona-Viren sind genetisch sehr variabel und sie können mehrere Arten von Wirten infizieren, sie können also in einem oder mehreren Reservoirwirten leben. Sieben Arten von Coronaviren sind beim Menschen von Bedeutung. Die Bandbreite beginnt mit leichten respiratorischen Infektionen (z.b. Grippale Infekte, Erkältungen) bis hin zu schweren akuten Atemwegssyndrom (SARS= Severe acute respiratory syndrome). Neben dem aktuellen Coronavirus (COVID-19) sind in der Vergangenheit besonders bekannt geworden: SARS-CoV, MERS-CoV, SARS-CoV-2. Nach Auswertung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde am 23. Mai 2003 auf einer Pressekonferenz der Universität Hongkong verkündet, dass es sich bei SARS-Viren um Zoonosen handelt. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde das neue Coronavirus als Ursache von SARS identifiziert. Diese Viren werden vornehmlich durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch weitergegeben und können Krankheiten mit einer sehr hohen Sterblichkeitsrate verursachen. Eine vergleichsweise kleine Zunahme der Infektionsrate kann zu einer Epidemie führen. Wenn man ansteckende Patienten in Quarantäne nimmt, aber einen übersieht, der auch noch zufällig ein Superspreader ist, können die Eindämmungsbemühungen scheitern und wir haben es sehr schnell mit einer Pandemie zu tun. Deshalb müssen die Corona-Fallzahlen jetzt gesenkt werden, denn die nächste Mutation kommt bestimmt. Es ist blauäugig, sich nur auf Impfstoffe zu verlassen.
Auch die Genom-Sequenzierung  ist ein wichtiges Instrument, um eine Pandemie einzudämmen. In England wird in etwa jeder 15. positive Corona-Test dieser Sequenzierung unterzogen. In Deutschland dagegen nur jeder 900. positive Corona-Test. Der ARD-Rechercheverbund hat dies herausgefunden und er folgert daraus: „Deutschland weiß bis heute nicht, in welchem Ausmaß sich die neue Corona-Mutation auch hierzulande bereits verbreitet hat, weil die entsprechende Ãœberwachung nur äußerst lückenhaft stattfindet.“ Wie gesagt, die nächste Mutation kommt bestimmt.
Eindringlinge
Welches Säugetier, welches Insekt, welcher Vogel oder auch welche Pflanze beherbergt nun diese Viren? Niemand kann die Reservoirwirte der zoonotischen Viren genau bestimmen. Wir müssen die Rechnung aber mit dem Wirt machen und anerkennen, dass Viren „sich nicht in unserem Lebensraum, sondern wir uns in ihrem“ (David Quammen) befinden. Denn Charles Darwin stellte bereits fest, dass wir Menschen auch nur Tiere sind. Wir sind sogar eine relativ junge Primatenart, die zunehmend die „Ehrfurcht vor dem Lebendigen“ (Albert Schweitzer) verliert. Der Unterschied zwischen Menschen und Tieren besteht darin, dass Menschen den gesamten Lebensraum, die gesamte Natur beanspruchen und scheinbar keine planetarischen Grenzen mehr kennen, dies begünstigt dann auch die Virenverbreitung. Die Krankheitserreger gedeihen, wenn Menschen und Wirte in beengten Verhältnissen, die auch noch überflüssigerweise flurbereinigt und versiegelt sind, leben. Eine hohe Bevölkerungsdichte begünstigt neue Krankheitserreger und die nächste Epidemie ist vorprogrammiert. Die beengten Verhältnisse sind ebenfalls bei der anthropogen Massentierhaltung zu beobachten. Für so manchen Krankheitserreger bahnen sich hier neue Wege rund um den Globus an.
Außerdem lebt der Mensch in einer Umwelt, die in vielen Bereichen aus dem Gleichgewicht geraten ist, weil sie sich durch menschliche Aktivitäten ständig ändert. Es gibt aber keine gesellschaftlichen Veränderungen ohne politische Konflikte. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass Konflikte um Konzepte nur zum Teil mit den besseren Argumenten entschieden wurden. Daran hat sich die menschliche Gesellschaft gewöhnt, denn wer die ökonomische und politische Macht hat, ist auf gute und überzeugende Argumente nicht unbedingt angewiesen. Genau an dieser Stelle ergibt sich für das Virus das Einfallstor, und es stellt das bisherige Denken[3] vieler Politikerinnen und Politiker auf den Kopf, weil die Bekämpfung des Virus ausschließlich mit überzeugenden wissenschaftlichen Argumenten erfolgen muss, mit der Maßgabe, dass die Krankheit nicht nur als medizinisches Problem, sondern auch als ökologisches Phänomen erfasst werden muss. Also sollten wir mit unseren gewonnenen Erkenntnissen des letzten Jahres Rückschlüsse für unser zukünftiges Handeln ziehen.
[1] „Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Wirtstieren sind ein wichtiger Gradmesser für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erreger den Sprung schafft. Fledertiere (Fledermäuse und ihre Vettern, die Flughunde) sind Säugetiere, und sie kommen weit herum.“ (David Quammen, Spillover, München, 2020, S. 32) Die Sommer- und Winterquartiere mancher Fledermäuse liegen bis zu 1.300 Kilometer auseinander.
[2] DNA ist ein doppelsträngiges Molekül, dass als Doppelhelix berühmt geworden ist. Charakteristisch ist, dass fehlerhaft eingebaute Basen im Zuge der Verdoppelung (Replikation) repariert werden. Bei der Verdoppelung werden gewissermaßen Kopierfehler repariert und damit sinkt die Mutationsrate. Diese Fähigkeit haben RNA-Viren nicht. Die Codierung erfolgt bei RNA-Viren durch ein Einzelstrangmolekül, mit der Konsequenz, dass es keine Korrekturmöglichkeit gibt. Wegen der fehlenden „Korrekturlese-Polymerase“ ist die Mutationsrate von RNA-Viren, im Gegensatz zu DNA-Viren, bis zu tausendmal höher. Außerdem sind sie wandlungsfähig, sie können sich gut anpassen und damit sind sie besonders evolutionsfähig.
[3] Politikerinnen und Politiker verkaufen sich häufig selbst und inszenieren nicht nur ihre Auftritte, sondern auch ihre Argumente und Strategien. Das Virus hat aber keine Strategie, es ist nicht bösartig, sondern es folgt lediglich der Evolution. Mit politischen Meinungen und Inszenierungen lässt sich der Kampf gegen das Virus niemals gewinnen.