„Was Menschen geschaffen haben, können sie auch wieder abschaffen.“
(Charles Eisenstein)
Moderne Gesellschaften befinden sich im permanenten Modus der Steigerung. Das ökonomische Wachstum, die technische Beschleunigung, der ansteigende Konsum und die andauernde Kapitalakkumulation[1] führen zu beständigen Innovationsleistungen, um das bestehende System zu stabilisieren. Die Steigerung der Produktivität ist eine Folge der Beschleunigung aller Prozesse, mit der Konsequenz, dass die Zeit und der Raum komprimiert werden. In kürzerer Zeit kann mehr produziert werden, Dinge und Personen können weiter transportiert und Informationen können schneller ausgetauscht werden. „Dies führt im Ergebnis zu einer genuin eskalatorischen Tendenz, welche die Steigerungsrate in ihrer Substanz in vielen Bereichen (etwa in der Zunahme des Verkehrsaufkommens, im Verbrauch von Rohstoffen, in der Produktion von Gütern) über viele Dekaden hinweg, nicht linear, sondern nahezu exponentiell anwachsen lässt. Eine moderne Gesellschaft, so lässt sich diese Einsicht in einem einzigen Bild zusammenfassen, ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich immerzu steigern und dynamisieren muss, um sich zu erhalten, dass ihre kinetische Energie notwendig steigt.“[2] Und dies hat erhebliche Konsequenzen für die Gestaltung zukünftiger gesellschaftspolitischer Prozesse.
Ich habe im Blog vom 21.April 2021 das Gesetz der Massenproduktion ökonomisch erklärt; damit einen sehr einfachen Erklärungsansatz für diese Steigerungslogik geliefert und einen ersten ökologischen Zusammenhang, am Beispiel der Flugindustrie, hergestellt. Eine erste Zusammenfassung ergibt:
Je mehr geflogen wird, desto
- geringer die Kosten für die Konsumenten und für die Produzenten
- geringer die Kohlenstoffdioxid-Emission pro Person
- höher die Kohlenstoffdioxid-Emission insgesamt.
Der gesellschaftliche Reichtum ergibt sich beispielsweise durch die Möglichkeit, zu jeder Zeit und zu jedem Ort zu fliegen. SARS-CoV-2 konnte sich von China aus über den Rest der Welt ausbreiten. Der Faktor, der dies ermöglichte, war das globale Transportwesen. Ein einziges Containerschiff verkeilte sich einige Tage im Suez-Kanal und die globalen Lieferketten waren gefährdet, mit der Konsequenz, dass die Produktion vielfältig gestört wurde. Die allgemeine gesellschaftliche Produktion von Reichtum führt dazu, dass immer größere Risiken eingegangen werden. Dies ist bei der Ausbeutung von Rohstoffen, bei der Umweltverschmutzung und bei der Abholzung von Waldflächen zu beobachten. Ein kaum thematisiertes Risiko kommt hinzu, die Ausbildung von Monokulturen und die Spezialisierung. Diese Risiken werden im Gesetz der Massenproduktion von Ökonomen nicht eingepreist, weil Betriebswirte sich ausschließlich auf die Vorteile der Massenproduktion fokussieren und auch beim Rebound-Effekt die Augen verschließen.
„Primat inter pares“ vs. „Primus inter pares“
Durch die rigorose Anwendung der ökonomischen Gesetze (z.B. uneingeschränkte Kapitalakkumulation, Gesetz der Massenproduktion) hat sich der globale Norden zum Primus inter pares der Weltwirtschaft aufgeschwungen und dabei wurde scheinbar vergessen, dass nicht nur die Industrieländer durch Monokulturen und Spezialisierung anfällig für Krisen geworden sind. Das Gesetz der Massenproduktion verkehrt sich ins Gegenteil und die Corona-Pandemie macht es sichtbar. Neben dem Transport- und Verkehrswesen lassen sich auch weitere Beispiele aus dieser Branche finden. Die Hotels, beispielsweise auf Mallorca, lassen sich ebenfalls mit ein paar groben Pinselstrichen untersuchen. Auf keiner Insel der Welt ist das ökonomische Ausmaß der Corona-Pandemie so stark sichtbar. Die mallorquinischen Hotels haben auf Touristenmassen gesetzt, sich stark spezialisiert und das Gesetz der Massenproduktion ausgenutzt, um günstige Preise anbieten zu können. Die Fixkostendegression wirkt auf der einen Seite positiv, auf der anderen Seite steigen die relativen Fixkosten sehr stark an, wenn die Betten in den Hotels nicht belegt sind. Es haben sich auf diesem Sektor arbeitssparende Monokulturen gebildet, die v.C.[3] positive Skaleneffekte hervorgebracht haben. Aber Corona sagt auch an dieser Stelle: Danke. Nur ein einziges Virus kann das gesamte Hotelsystem auf Mallorca ins Wanken bringen und die Hotels haben keine Ausweichmöglichkeit mehr, weil das gesamte System eindimensional ausgerichtet ist. Dies führt dann zu massenhaften Insolvenzen und zu explodierenden Arbeitslosenzahlen.
Im Wesentlichen konzentrieren sich Betriebswirte nicht auf die Wertschöpfung, sondern auf die Gewinnmaximierung und eignen sich die Welt mit dem Gesetz der Massenproduktion an. Diese eindimensionale Sichtweise beruht auf einer einzigen Achse. Wie der Soziologe Harmut Rosa erläutert, geschieht die Weltaneignung über Resonanzen. „Wer seinen Resonanzdraht zur Welt auf eine einzige Achse konzentriert, verfügt im Falle ihres krisenhaften Verstummens über keine Ersatzquelle und deshalb über keine oder wenig Resilienz.“[4]
Corona hat uns gelehrt, dass die kapitalistische Akkumulation über keine Ersatzquelle verfügt. Schlimmer noch – die Gewinner, die von den positiven Effekten des Gesetzes der Massenproduktion jahrzehntelang partizipierten, sehen nun, wie sich das Gesetz vor ihren Augen ins Negative verkehren kann. Dieser Sachverhalt verschärft die ökologische Krise und den ökonomischen Wettbewerbsdruck. In Branchen mit Massenproduktion und einem ausgeprägten internationalen Markt hat der freie Wettbewerb zur Folge, dass der Lebensstandard der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Industrieländern sinkt und sich dem von Ländern annähert, in denen viele billige Arbeitskräfte in Ausbeuterbetrieben arbeiten. Sichere und gesunde Arbeitsbedingungen und steigende Reallöhne sind hier nicht zu finden. Außerdem sind die ökologischen und virologischen Konsequenzen des Gesetzes der Massenproduktion immens.
Corona und die ÖkologieÂ
Fast das gesamte Palmöl der Welt wird in Malaysia und Indonesien, zusammengenommen 90%, produziert. Malaysia zählt zu den Tabellenführern, wenn es um die großflächige Abholzung des Regenwaldes geht. Das Land, das für Palmöl-Plantagen abgeholzt worden ist, war 10 ˚C wärmer als der benachbarte Regenwald. Er blieb auch wärmer, nachdem die Palmen ausgewachsen waren. Dieses Land sollte eine CO2-Senke sein, stattdessen wird es durch den Palmölanbau zu einer Emissionsquelle[5]. Außerdem werden circa 70% der landwirtschaftlichen Fläche benötigt, um, nach dem Gesetz der Massenproduktion, mit noch intensiveren Methoden, Palmöl herzustellen. Dies setzt die Fledertiere in dieser Region erheblich unter Stress, denn sie benötigen einen Radius von 1300 Kilometer, um von Sommer- zum Winterquartier zu wechseln. Durch die Abholzung des Regenwaldes wird dieser Radius sukzessive verkleinert und die Fledertiere sind gezwungen, sich dem Menschen zu nähern. Es bleibt vielen Tieren keine andere Wahl, wenn sich die Klimahüllen ändern und die Abholzung weiter fortschreitet. Schätzungen gehen davon aus, dass diese geballte Ladung aus Erwärmung und Entwaldung circa 99 Prozent aller Fledertierarten in Südostasien in den nächsten 30 Jahren zur Flucht zwingt.[6] Um die nächste Pandemie frühzeitig zu bekämpfen, müssen die Barrieren zwischen natürlichen Reservoirs und menschlicher Gesellschaft zwingend aufrecht erhalten bleiben.
Da Fledertiere unzählige Viren in sich tragen, ist es nur eine Frage der Zeit, dass ein Virus auf einen Menschen überspringt und die nächste Pandemie einleitet. Solch ein zoonotischer Spillover wäre ausgeschlossen, wenn der Regenwald geschützt wäre, stattdessen spannen wir immer mehr Lebensräume dieses Planeten für unsere ökonomischen Zwecke ein. Die Öffnung der Wälder für globale Kapitalströme[7] ist einer der Hauptursachen für die Virenübertragung. Die renommierte Zeitschrift Nature schrieb bereits im Jahre 2017: “Während die Trennlinie zwischen menschlichen und wilden Habitaten immer dünner wird, brüten wir möglicherweise bereits die nächste große Pandemie der Welt aus.“
[1] Hohes quantitatives Wirtschaftswachstum ist eine Folge einer hohen Akkumulationsrate.
[2] Hartmut Rosa, Resonanz, Berlin, 2019, S. 529
[3] V.C. = Vor Corona
[4] Hartmut Rosa, Resonanz, Berlin, 2019, S. 400
[5] Nach einer Untersuchung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung sind im Regenwald des Amazonas bis zu 76 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Wenn keine weiteren Abholzungen stattfinden, bindet dieser Regenwald jedes Jahr weitere 600 Millionen Tonnen Kohlenstoff.
[6] Vgl. Andreas Malm, KlimaIx, Berlin, 2020, S.136
[7] Schon Karl Marx hat im zweiten Band des „Kapital“ (MEW 24, S. 252f.) erläutert, dass Wachstum nicht nur eine zeitliche, sondern als Expansion auch eine räumliche Dimension hat.